Wochen 9 bis 11 / 20.Mai bis 9.Juni 2019

Am Samstagabend 18.Mai sind wir bei unseren Freunden Monique und Nicolas und damit auch in der Arche-Gemeinschaft „Le Caillou-Blanc“ angekommen, in Clohars-Fouesnant in der südlichen Bretagne. Und am Pfingstsonntag 9.Juni ging die Reise dann wieder weiter, an die nördliche Küste der Bretagne. Dazwischen drei sehr intensive Wochen voller Begegnungen.

Unser insgesamt fünfmonatiger Einsatz vor 28 Jahren in dieser Gemeinschaft hatte uns nachhaltig geprägt. Der unvoreingenommene Empfang, die Bereitschaft sich Tag für Tag überraschen zu lassen, der damalige Pioniergeist und das tägliche Improvisieren hinterliessen bei uns bleibende Eindrücke. Diese gelebte Grosszügigkeit und Nonchalance empfanden wir als „typisch französisch“, das kompromisslose soziale Engagement und die pragmatische Tatkraft als „typisch Arche“. Erfahrungen, die uns beflügelten. So nimmt uns natürlich Wunder, was hier in den 28 Jahren gegangen ist: Wie hat sich diese Gemeinschaft entwickelt? Was unterscheidet sie heute noch von „gewöhnlichen“ sozialen Institutionen? Welche Herausforderungen stellen sich … und wie gehen die Menschen damit um?

Zunächst die freudigen Begegnungen: Wieder-Erkennen, Herzlichkeit und gemeinsame Freude über die Erinnerungen von damals. Einige der „alten“ Bewohnerinnen und Bewohner haben mit uns gealtert, andere sind zwischenzeitlich verstorben oder weggezogen; deren Eigenheiten und Originalität bleibt in Erinnerung.  Dann die herzlichen Begegnungen und spannenden Gespräche mit den Pionieren von damals: Ja, die Gemeinschaft hat in dieser Zeit einen grossen Sprung gemacht, hat sich hinsichtlich Gebäuden, Werkstätten und Personal mehr als verdoppelt, hat staatliche Anerkennung erlangt, hat staatliche Finanzierung und ebensolche Normen übernommen und sich professionalisiert. 

Renata engagiert sich in diesen drei Wochen an der Seite von Monique im Foyer „Ty Levenez“: Haushalten, Kochen, Putzen, Spiele und Gespräche mit zu betreuuenden BewohnerInnen. Ich, Christoph, helfe wiederum in der Schreinerei mit und treffe auch da auf „alte Bekannte“. Zusammen mit Serge und Jimmy gilt es, beim renovierten Foyer St.Joseph eine Holzverkleidung (Balkon-Untersicht) zu montieren. Zusammen mit Xavier und Pascal entstehen neue Bühnen-Sockel: bohren, schleifen, lasieren, lackieren.

Beim Malen der Bühnensockel („les supports de la scène“) tauchen spontane Überlegungen auf: Welches sind wohl die Sockel bzw. Fundamente der hiesigen Gemeinschaft? Vor 28 Jahren war die Communauté gerade mal 8 Jahre alt; noch voll und ganz in der Pionierphase. Ein nachhaltiger Eindruck für uns war damals die „bedingungslose Offenheit für alle und alles was da kommen mag“. Aus der religiös geprägten Grundhaltung heraus wurde willkommen geheissen, wer immer unter der Tür stand; man ging von der Annahme aus, dass eine höhere Macht diesen Menschen geschickt habe und er somit am richtigen Ort angekommen sei. Diese Haltung des „acceuil“ entwickelte eine unglaubliche Kraft – von der letztlich auch wir profitierten und uns anstecken liessen. Und heute? Die Begrüssungsrituale, die gegenseitige Aufmerksamkeit, das Interesse aneinander und das lockere Miteinander fallen auch heute noch auf und schaffen ein angenehm warmes Betriebsklima.

Und wie steht es heute um die spirituelle Basis bzw. die erwähnte Grundhaltung der „bedingungslosen Offenheit“? Aus einzelnen Schilderungen muss ich entnehmen, dass sowohl auf Klienten- als auch auf Personalebene die heute gängigen Kriterienlisten und Selektionsprozesse angewendet werden. Inwiefern lässt ein funktionsbezogener und rational gesteuerter Auswahl-Prozess noch „Überraschungen“ und ungeahnte Entdeckungen zu? Wo kann das „bedingungslose JA“ zum gegenüberstehenden Menschen heute seine Kraft entfalten?

Die Formen, sich der gemeinsamen spirituellen Basis zu vergewissern, scheinen sich mit dem Generationenwechsel in der Gemeinschaft auch zu verändern. Ökumenische und interreligiöse Offenheit ist zur Selbstverständlichkeit geworden, gut so. Gebetszeiten und Gottesdienste sprechen offensichtlich nicht mehr alle an; sehr beachtenswert, dass die Gemeinschaft diese Formen nicht zur moralischen Keule erklärt und damit dem Prinzip der Freiwilligkeit treu bleibt. Anderseits wird es damit immer schwieriger, eine gemeinsame Haltung zu pflegen, besonders wenn auf viele kurzzeitige, freiwillige und nicht-professionelle Mitarbeitende gesetzt wird. Die Reflexion des eigenen Handelns bleibt eine ständige Herausforderung und Kern der Assistenten-Begleitung.  Spontane Offenheit, Kreativität, gemeinsames Feiern und die Freude am lockeren Miteinander scheint auch der jüngeren Generation zu entsprechen. Wie kann darin eine minimale Verbindlichkeit vereinbart und gelebt werden? Und wie kann das gemeinsame Ziel („das Willkommen-heissen und das gleichwertige Miteinander mit Menschen mit Behinderung“) wachsam im Bewusstsein gehalten und kontinuierlich verfolgt werden? Wie kann Mitverantwortung aktiv und gleichwertig gelebt werden? Gibt es – über das gemeinsame Feiern hinaus – neue und verbindende Rituale?

Bertrand, der eigentliche Gründer der Gemeinschaft, ist mittlerweile pensioniert. Seine Pionierkraft setzt er heute für Hilfsprojekte in Albanien ein: gerade ist er wieder mit einer Equipe aus dem Caillou-Blanc und Studierenden eines Studienganges für „Humanität, Solidarität und internationale Entwicklungszusammenarbeit“ zu Arbeitseinsätzen nach Albanien gereist. Beim Vorbereiten der Material- und Werkzeug-Transporte durfte ich einige dieser Jugendlichen kennenlernen. Sie absolvieren den in Frankreich und Europa einzigartigen Studiengang am https://www.iffeurope.org/ in Angers.

„Nos programmes de formation humanitaire, solidarité internationale et orientation sont conçus pour répondre aux aspirations de jeunes étudiants désireux de relever les enjeux du monde actuel. Notre raison d’être : révéler les talents de chacun d’entre eux pour qu’ils les modèlent, les transforment et les mettent au service de notre société. Plus qu’une acquisition de savoir-faire, nous proposons des programmes de formation à dimension pleinement humaine, qui visent à l’émergence de la vocation spécifique de chacun, pour qu’il devienne responsable de sa propre vie et solidaire de celle des autres.“ (Aus <https://www.iffeurope.org/ecole-humanitaire-orientation/projet-pedagogique/>).

Hoffnungsvolle Ansätze für eine solidarischere Welt!

Die drei Wochen im Caillou-Blanc sind gespickt mit vielen Gesprächen, Begegnungen, Erlebnissen. Eine besondere Überraschung war für uns der Besuch unserer Freunde Rita und Bernhard aus München. Sie verbrachten Ihre Ferien zufällig etwa 50km weiter südlich an der Küste; Grund genug, uns zu einem gemeinsamen Strand-Spaziergang und Abendessen zu treffen. Ein weiteres Highlight war der Ausflug mit Pierre, einem inzwischen pensionierten Bewohner der Gemeinschaft, zur Île de Sein am westlichsten Zipfel Europas.

Eine ganz besondere Chance bot sich uns in der dritten Woche unseres Aufenthalts: Marthe, die Tochter von Nicolas und Monique, war mit ihrer Theatertruppe „compagnie passages“ für eine Probewoche Zuhause. Über Pfingsten dann drei sehr frische und spritzige Freiluft-Aufführungen von Eugène Ionescos absurdem Theaterstück „le roi se meurt“. Eindrücklich, was diese jungen Theater-Profis an Kreativität, Idealismus und Engagement entwickelten – und schön, dass wir diese quirlige und lustvolle Zusammenarbeit miterleben durften.

Ein ganz herzliches MERCI geht an unsere Freunde Monique und Nicolas für Ihre Gastfreundschaft, für die schönen Momente gemeinsamen Arbeitens und gemeinsamer Gespräche. Auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen, … das nächste Mal in der Schweiz?!.

Harfe und Gesang

Ja, ich bin mir bewusst, dass schon längst ein Wochenbericht fällig wäre. Die Zeit im „Caillou Blanc“ war so dicht und voll, dass ich diese Erfahrungen in einem 3-Wochen-Bericht zusammenfassen werde (Entwurf in Arbeit). Wir haben uns am Pfingstsonntag von unseren Freunden verabschiedet und sind an die Nordküste der Bretagne (die „côte du granit rose“) weitergereist. Und Abends wieder so ein besonderer Zu-Fall: wir stehen beim Stellplatz des Parc du Randôme, entdecken dann zufällig, dass gleich daneben ein originelles Projekt steht (das http://www.levillagegaulois.org/) und beim Blick auf deren Website, dass dort in einer halben Stunde ein Harfenkonzert stattfindet. Fertig essen, Geschirr stehen lassen und los geht’s. Danach werden wir gleich mehrfach beschenkt: die bretonische Harfenistin und Sängerin MORGAN gibt im schilfgedeckten Gemeinschaftshaus des Gallierdorfes ein wunderschönes und sehr persönlich geprägtes Konzert – an der Feuerstelle. Und vor dem Eindunkeln konnten wir noch einen knappen Eindruck einiger dieser Bauten gewinnen.

Ein Mitglied der Association MEEM (Monde des Enfants pour les Enfants du Monde), freiwilliger Mitarbeiter und bald pensionierter Lehrer, erläutert mir die Geschichte dieses Vereins und dieses Ortes. 1983 beschlossen eine Handvoll Freunde, einen alternativen Freizeitpark für Kinder zu errichten. Die Idee eines gallischen Dorfes lag nicht nur aus regionalen und geschichtlichen Gründen nahe: ein solches kann nämlich mit vor Ort vorhandenen Materialien (Stein, Lehm, Wasser, Holz, Schilf) und mit einfachen Geräten in weitgehender Handarbeit errichtet werden. Ziel war und ist es, einen sinnvollen Freizeitpark zu errichten, damit Geld zu verdienen und 60% des Ertrags zu Gunsten afrikanischer Kinder zu investieren. Mit sehr viel Freiwilligen-Arbeit, mit viel Spass und Fantasie wurden sehr originelle und eindrückliche Bauten und Spiele errichtet, ein grosser Weiher angelegt, ein gallisches Restaurant mit Lehmofen eingerichtet… und sogar ein rund sechs Meter hoher Menhir aufgestellt (mit Seilen, Rollen und den vereinten Kräften mehrerer Hundert Helferinnen und Helfer). Das Ganze funktioniert nun schon über 20 Jahre und die Projektgelder für Afrika liegen weit über einer Million Euro. Heute sind sechs Personen für den Parkbetrieb angestellt, alles Andere läuft weiterhin freiwillig.

Ich bin sehr beeindruckt von dieser originellen und solidarischen Idee, von der andauernden und nachhaltigen Freiwilligen-Arbeit und vom langfristigen Nutzen, der dadurch auch in Afrika gestiftet wurde. Chapeau, allen Beteiligten!

Überraschendes Hauskonzert

,Ce qui demeure … das was bleibt. Am Freitagabend 31.Mai erhielten wir Gelegenheit, an einem Hauskonzert in privatem Rahmen teilzunehmen. Schon die Fahrt auf die Halbinsel bei Trégunc war eindrücklich: sattes Grün und üppige Pflanzenvielfalt soweit das Auge reicht. Dann kamen wir in ein grosses herrschaftliches Landhaus, dessen Salon unkompliziert für das Konzert hergerichtet worden ist. Zu Ehren der fanzösischen Chanson-Legenden Jacques Brel und Barbara war dieser Konzertabend angesagt. Die bretonische Sängerin, Komponistin und Gesangslehrerin Fabienne Marsaudon interpretierte ausgewählte Chansons und kommentierte die Auswahl in äusserst einfühlsamer und sympathischer Art. Begleitet vom virtousen Spiel des (Jazz-)Pianisten Michel Précastelli, dessen Tessiner Wurzeln beim nachfolgenden Gespräch zum Vorschein kamen. Dieser Abend war ein Geschenk der besonderen Art: zum einen die Begegnung mit der wunderbar poetischen Sprache eines Jacques Brel, dann eine subtile Schilderung der künstlerischen Begegnungen zwischen Brel und Barbara und schliesslich unsere Begegnung mit zwei höchst behutsamen, bescheidenen und feinfühligen Interpreten ohne jede Starallüren. Ein einziger Genuss, auch was das nachfolgende PicNic betrifft.

Ce qui demeure – das was bleibt. Fabienne Marsaudon hat unter diesem Titel eine CD mit eigenen Kompositionen und sehr lebensnahen und feinfühligen Texten eingespielt. Kleine Kostprobe auf Youtoube.

Ce qui demeure

Il y a ce qui passe
et puis ce qui demeure
Il y a ce qui s’efface
ce qui jamais ne meurt

Il y a le superflu
l’anodin, l’anécdote
et puis le jamais vu
l’essentiel, l’antidote

Il y a ce qui s’achète
ce qui n’est pas à vendre
Il ya ce qui s’arrête
ce qui marche sans se rendre

Il y a tout ce bruit
et le chant de la mer
Il y a ce qui s’enfuit
et puis ce qui éspère

Il y a ce qui fleurit
et puis ce qui s’étiole
Tout ce qui porte fruit
et tout ce qui s’envole

Il y a les ouragans
et les neiges éternelles
Il y a ce qui ment
et ce qui se révèle

Il y a derrière les choses
une inlassable voix
qui offre, qui propose
et nous laisse le choix. (Text: Fabienne Marsaudon)

Le Phare d‘Eckmühl

Ein „freies“ Wochenende am Meer, im Pays Bigouden und an der Pointe de Penmarc’h. Der eindrückliche Leuchtturm „Phare d’Eckmühl“ weckt unsere Neugier in mehrfacher Hinsicht: weshalb der deutsche Name? weshalb diese Architektur? Und wie weit man wohl sehen mag?

Der 1897 eingeweihte Leuchtturm sichert einen der gefährlichsten Küstenaschnitte Frankreichs. Tatsächlich sieht man in dieser Gegend bei Ebbe noch sehr weit draussen granitene Felsen-Buckel und die Brandungs-Wellen lassen auf Hindernisse schliessen. Eine Marquise d’Eckmühl de Bloqueville soll diesen Leuchtturm zu Ehren ihres Vaters gestiftet haben (Marschall Davout führte im Rahmen der napoleonischen Feldzüge die Schlacht beim bayrischen Dorf Eggmühl), als Mahnmal gegen den Krieg: „Les larmes versées par la fatalité des guerres, que je redoute et déteste plus que jamais, seront ainsi rachetées par les vies sauvées de la tempête.“

Der Turm besticht durch seine Lage, durch seine Geschichte und die pazifistische Botschaft, durch die besondere Architektur (über 307 spiralförmig angelegte Treppenstufen) und nicht zuletzt durch eine atemeraubende Aussicht.

Woche 8 / 13.-19.Mai 2019

Das vergangene Wochenende stand ganz im Zeichen des Mittelalterfestes in Montreuil-Bellay, das mit einem eigenen Text- und Bildbeitrag dokumentiert ist. Am Sonntagnachmittag stiegen wir dann wieder aus unseren Kostümen sowie Rollen aus und besuchten zum Abschluss ein Orgelkonzert in der eindrücklichen romanischen Basilika von Cunault, nun wieder an der Loire westlich von Saumur. Fünfhundert Meter vor dem Ortseingang ein wunderschön gelegener Stellplatz im Hochwasserbett der Loire, auf welchem der Bäcker mit seinem R4 morgens um acht Uhr den Weckruf hupt. Wer steht schon nicht gerne auf, wenn einem das frische Brot praktisch ans Bett geliefert wird, herrlich. Dazu stahlblauer Himmel und strahlende Morgensonne; dies die positiven Nebeneffekte des kühlen Nordostwindes.

Am Montag besuchten wir „les hélices terrestres“, die irdene Helix des Künstlers Jacques Warminski (1946 – 1996) in Saint-Georges-les septs-Voies. Nochmals ein Eintauchen in die Thematik der Troglodytes (Höhlenwohnungen) im Anjou.
Der Sohn polnischer Flüchtlinge sei hier als Junge durch die Felder und Büsche der Gegend gestreift … und dabei durch einen überwachsenen Kamin ins Leere gestürzt. Er fand sich einige Meter tiefer in einer verlassenen und verwilderten Höhlenwohnung wieder, was offenbar seinen Entdeckerdrang entfachte. Er sei dann immer wieder hergekommen und habe allmählich die Überreste einer kompletten dörflichen Siedlung entdeckt. Im Laufe seines Studiums der Künste und seiner weiteren künstlerischen Tätigkeit (vorwiegend „de l’art éphémère“ – vergängliche Kunst im natürlichen Raum) sei ihm klar geworden, dass er mit jenem Sturz durch den Kamin recht eigentlich „in seine Berufung hineingefallen“ sei. Er machte es sich zur Aufgabe, die vormaligen Besitzer dieser Höhlenwohnungs-Ruinen ausfindig zu machen und allmählich sämtliche „cavités“ aufzukaufen. In den neunziger Jahren machte er sich daran, den Weiler „l‘ Orbière“ der Verwilderung zu entreissen, die Höhlen zugänglich zu machen und sie mit seinen künstlerischen Visionen auszugestalten. Das Spiel zwischen „konkav“ und „konvex“ zieht sich wie ein roter Faden durch sein unermüdliches Schaffen. Mit unerhörtem Körpereinsatz (er war selbst ein schwergewichtiger riesiger Mann) und mit Unterstützung von Helfern habe er Tausende von Kubikmetern Sandstein ausgehoben, weitere Höhlen geschlagen, Symbole und Ornamente eingebracht …. und mit Tausenden Kubikmetern Beton einen nach oben offenen Ampitheater-ähnlichen Trichter gestaltet: das Pendant zu seiner unterirdischen Welt. Nach rund fünf Jahren und nach Abschluss der zentralen Elemente seines Projektes sei er 1996 gestorben. Ein kompetenter und facettenreicher Artikel über den Künstler findet sich hier (französisch).

Zu schön, dass wir noch am selben Abend unseren letzten Besuch im Anjou machen dürfen: wir sind eingeladen, Guy (den pensionierten 70-jährigen Fouée-Bäcker vom Tag der offenen Tür) und seine Frau Nicole in deren troglodytischem Zuhause in Montsoreau zu besuchen. Die beiden haben nach der Pensionierung die bisherige Ferienwohnung zu ihrem Haupt-Wohnsitz gemacht. Abgesehen von einem Wintergarten-ähnlichen Anbau aus Holz und Glas befinden sich noch sämtliche ihrer Räume in Sandstein-Höhlen. Die alten Waschtröge, das Lager für die Weinfässer, Weinpresse und Wein-Trog, offener Kamin und Kochstelle – das ist alles noch sichtbar und integriert. Wände und Decken sind gekalkt und die Böden mit alten Tonplatten und teilweise mit Holzparkett komfortabel ausgelegt. Zeitgemässe Annehmlichkeiten wie Strom, Wasser, Toiletten und Dusche sind eingebaut. Geheizt wird aber nach wie vor nur mit Holz, entweder im geschlossenen Feuerraum (gewissermassen im Sockel des Cheminées – mit automatischer Warmluft-Abgabe an den Wohnraum) oder in der offenen Feuerstelle mit Kamin. Die Temperatur sei ganzjährig recht angenehm, wenn auch mit 18 bis knapp 20 Grad für die „normalen“ Gewohnheiten unserer Zeit doch eine Herausforderung. Einzig der Nordostwind, der zufällig auch an diesem Abend bläst, sei unangenehm und drücke den Rauch in den Kamin zurück. Das tut der guten Stimmung und der herzlichen und gastlichen Atmosphäre aber keinen Abbruch. Wunderbare Gespräche bei Quiche und Wein; herzlichen Dank, Nicole und Guy, und hoffentlich auf Wiedersehen eines Tages in der Schweiz.

Damit beschliessen wir unseren Aufenthalt im Anjou, in dieser einzigartigen Gegend im unteren Loire-Tal, welche einst Ufer und Untergrund eines längst verschwundenen Meeres war. Daher die ausgeprägte Fruchtbarkeit, die Eignung des Bodens für den Weinbau – und daher die Tatsache, dass in diesen Böden noch heute rund 14’000 Höhlen und unzählige Kilometer unterirdischer Weinkeller, Champignon-Kulturen etc. zu finden sind. Den meisten Menschen ist das Loire-Tal als Tal der prunkvollen Schlösser bekannt. Wir durften in dieser Woche auch eindrückliche Blicke in den Untergrund machen, erleben woher das Baumaterial für diese Schlösser überhaupt kam … und eine sympathische Welt mit originellen und herzlichen Menschen „hinter und unter den Fassaden“ kennenlernen.   

Da ist noch etwas: Am Mittelalterfest in Montreuil-Bellay hatte eine Gruppe engagierter Jugendlicher einen Informationsstand aufgebaut. Sie engagieren sich partnerschaftlich für ein Behindertenheim in Ourika, in einem Tal des Hohen Atlas unweit von Marrakech in Marrokko. Bisher wurde Geld gesammelt, um Lehrkräfte und praktischen Unterricht in einem Schulgarten zu finanzieren. Heute nun werden getrocknete Gewürze aus jenem Garten verkauft. Ziel der nächsten Finanzierungsaktion ist es, einigen jener Jugendlichen mit körperlicher Behinderung diesen Sommer eine Reise nach Montreuil-Bellay zu ermöglichen. Da helfe ich gerne mit, verbinden mich doch gleich mehrere Leidenschaften mit dieser Aktion: Marrokko war ein unvergesslich schönes und gastliches Land für meine Fahrrad-Touren, dann teile ich sehr gerne die Vision einer solidarischen und gerechten Gesellschaft mit gleichwertigen Chancen auch für Menschen mit Behinderung … und schliesslich kann ich mir durchaus vorstellen, dass einer meiner Workaway-Einsätze im kommenden Winter auch in Ourika stattfinden könnte. Super Engagement dieser Jugendlichen aus Montreuil-Bellay!
Beim Büchsen-Schiessen an ihrem Stand gelang es mir, 8 von 10 Büchsen zu treffen. Nicht genug für den Hauptpreis, einen ganzen geräucherten Beinschinken. Überraschenderweise brachte mir Guy aber tags darauf eine Flasche Wein, die ich anscheinend gewonnen hätte. Zum Wohl!

Diese Woche erfuhren wir, dass Jean Vanier am 7.Mai neunzigjährig einem Krebsleiden erlegen sei. Am Donnerstag 16.Mai findet die Beerdigung in Trosly-Breuil bei Paris statt. Die Nachricht (vgl. den Nachruf in der NZZ am Sonntag) berührt uns, zumal wir ja gerade auf dem Weg sind zu einer Arche-Gemeinschaft in der Bretagne. Jean Vanier, ehemaliger kanadischer Marineoffizier, dann Philosophie- und Theologieprofessor begann in jungen Jahren, sich radikal für Menschen mit geistiger Behinderung einzusetzen und mit ihnen in würdiger und gleichwertiger Form zusammenzuleben. Daraus entstand die Arche-Bewegung, welche heute 152 Gemeinschaften auf der ganzen Welt umfasst. Menschen, die damals noch in unwürdigster Weise in psychiatrischen Kliniken dahin vegetierten, haben inzwischen auch andernorts in unserer Gesellschaft Akzeptanz, Existenzsicherung und angemessene Versorgung erfahren. Das besondere – spirituell und jesuanisch motivierte – radikale Engagement für ein gleichwertiges Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung, wie es die Arche-Bewegung postuliert und lebt, stellt aber immer noch einen speziellen Leuchtturm dar: denn professionelles Handeln für jemanden (gegen Geld, Status und Anerkennung) ist meist nochmal was Anderes als ganz persönliches, uneigennützig solidarisches Engagement. 

Dieser feine Unterschied ist nicht leicht zu fassen. Der Hirnforscher Gerald Hüther spricht in seinem Buch über die Würde des Menschen von der Unterscheidung zwischen Objekt und Subjekt. Vielleicht ist dies eine passende Beschreibung für diesen feinen Unterschied: im einen Fall leiste ich einen Job, setze meine Fachlichkeit und meine Energie ein, halte aber eine sogenannt „professionelle Distanz“ und mache einen andern Menschen damit zum Objekt meiner Bemühungen, Forschungen etc.. Im andern Fall lasse ich mich auf eine Begegnung von Mensch zu Mensch ein, lasse mich persönlich berühren und begegne damit einem gleichwertigen Subjekt. (Selbstverständlich sei damit nicht ausgeschlossen, dass auch in institutioneller fachlicher Arbeit würdevolle Beziehungen von Subjekt zu Subjekt geschehen können, so gut wie auch das Wirken in Arche-Gemeinschaften nicht automatisch frei von entwürdigenden Objektivierungen ist.)

Die Gefahr ist unübersehbar, dass unsere Gesellschaft allenthalben zur Objektivierung neigt – zur „Vermarktung“ auch persönlichster Ressourcen – und dass persönliche Begegnungen zwischen Subjekten, ein sich-berühren-lassen von Mensch zu Mensch, für dieses profit- und machtgetriebene System tendenziell unkontrollierbar und damit unerwünscht sind.

Ich will mich ganz entschieden für das subversive Potenzial der persönlichen Begegnung und für das Prinzip der menschlichen Würde und Freiheit einsetzen. Lassen wir uns diese ursprünglichste Fähigkeit, den konkreten zwischenmenschlichen Austausch von Gütern und Ressourcen, das Verschenken von Zeit, Gastfreundschaft und Freude, nie nehmen. Denn kein Roboter kann ersetzen, was persönliches gegenseitiges Interesse im Tiefsten ausmacht. 

Jean Vanier, aber auch zahlreiche jener einfachen und bodenständigen Menschen, denen wir in den letzten Wochen begegnen durften, stehen für dieses persönliche Engagement: einfach leben. EINFACH leben. Einfach LEBEN. Oder in den Worten des Philosophen Martin Buber: Alles wirkliche Leben ist Begegnung.

Darin liegt wohl der wahre Antrieb auch für unser Reiseprojekt.

Der Dienstag ist ein ausgesprochener Reisetag: aus der Gegend von Saumur fahren wir nach La Gacilly am Eingang zur Bretagne. La Gacilly ist Herkunfts- und Gründungsort, aber auch kultureller Mittelpunkt der weltweiten Natur-Kosmetiklinie „Yves Rocher“. Der einstmals verschlafene und von Abwanderung bedrohte Ort ist heute ein lebendiges Künstlerdorf, touristischer Anziehungspunkt und eindrückliches Zeugnis der visionären und innovativen Kraft von Yves Rocher. Das sehr modern inszenierte Museum und die jährlich stattfindenden Foto-Ausstellungen im Naturraum sind tatsächlich eine Reise wert.  

Via Rochefort-en-Terre führt uns der Weg anschliessend auf einen idyllisch gelegenen kleinen Bauernhof-Camping direkt am „Golfe du Morbihan“ (Noyalo, 47°36’41“N, 02°41’43“W). Erstmals sehen wir wieder Meerwasser und das eindrückliche Spiel der Gezeiten, wenn auch noch nicht das offene Meer. Dieses sehen wir erst auf der Fahrradtour über die Halbinsel („Presqu’île de Rhuys“), als wir das Château de Suscinio besuchen: prächtig gelegen zwischen Lagunen und Moorlandschaft, das einstige Jagdschloss der Ducs de Bretagne.

Ausspannen, Schreiben, Lesen, (elektronisch) Kontakte pflegen – und erstmals in diesem Jahr die sommerliche Stimmung geniessen. Wunderbar.

Am Freitag und Samstag besuchen wir die Altstadt von VANNES; abwechslungsreiche Szenerie für einen eher regnerischen Tag. Und schliesslich die Weiterfahrt an unser nächstes Zwischenziel: für Samstagabend 18.Mai sind wir in Clohars-Fouesnant angemeldet, bei Nicolas und Monique bzw. zum nächsten Projekteinsatz in der Arche-Gemeinschaft „Le Caillou Blanc“, wo wir schon im Jahr 1991 zusammen mit unseren Kindern einen fünfmonatigen Einsatz machten.

am Meer – das Spiel der Gezeiten

Es ist, als ob das Meer atmen würde; das beharrliche Hin und Her der Wellen. Vor und zurück, auf und ab – und was die Welle alles mit sich nimmt, Algen, Muschelstücke, Schneckenhäuschen, Sand, Abfall. Manchmal lässt sich nicht sagen, ob die durchschimmernden Fetzen eher pflanzlicher Art sind oder zum Plastikmüll gehören.
Ganz eindrücklich aber die starke Strömung, die beim Ein- und Zurückfliessen der Wellen in diesem Felsenkanal entsteht. Dies wird nachvollziehbar, wenn man sich bewusst macht, dass der Gezeitenunterschied an dieser Küste schnell mal fünf Meter ausmachen kann. Für die Fischerboote in diesem Hafen ist es denn auch völlig normal, dass sie zweimal am Tag „trockenliegen“.

Eine hervorragende und allgemein verständliche Beschreibung der Gesetzmässigkeiten rund um die Gezeiten fand ich bei den Fischern hier.

Stein – Zeit – Malerei

Beim Besuch der unterirdischen Steinbrüche „Mystère des Faluns“ in Doué-la-Fontaine hat Renata Fotos gemacht und sich durch die subtilen Farbstimmungen und Strukturen zu eigenen Bildern (Pastellkreide) inspirieren lassen.

Tumulus de Tumiac

Auf der Prèsqu’île de Rhuys gibt es viele megalithische Zeugnisse. Eines davon ist dieses Ganggrab mit einem Durchmesser von 86 Metern und einer Höhe von 20 Metern; als angeblicher Wach- und Aussichtspunkt in römischer Zeit auch „butte de césar“ genannt. Heute bloss noch Aussichtspunkt ohne Zugang ins lnnere. Eindrücklich ist aber die urwüchsige Wildnis drumrum.