Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Bislang fühlte ich mich gegenüber Rollenspielen und Theaterspielen sehr distanziert; ja schon das Kostümieren an Fasnacht war/ist mir eher fremd. Zu stark mein Bedürfnis, stets authentisch und echt zu sein. So war es denn für mich selbst überraschend, wie spontan und entschlossen ich mich auf die Kleidermiete am Mittelalterfest einlassen konnte. Mir war auch sofort klar, dass der Habit des Zisterzienser-Mönchs mein Gewand sei für dieses Wochenende. Es machte schliesslich richtig Spass, in diese Rolle zu schlüpfen und mir den bisher unbekannten und mittelalterlich geprägten Ort aus dieser Perspektive zu erschliessen.

Besonders schön der Spaziergang am frühen Sonntagmorgen durch den noch verschlafenen Ort. Ein herrlicher Sonnentag mit tiefblauem Himmel kündigt sich an; die Rosenblüten leuchten heute speziell frisch und das Wasser des Thouet kräuselt sich blauer denn je. Tatsächlich ein sonderbares Gefühl, gemessenen Schrittes entlang des Ufers und durch den Ort zu schreiten: das Gefühl der Dankbarkeit für die Schöpfung stellt sich ganz automatisch ein. Dann die ersten Begegnungen, ein Mann mit der Zeitung unterm Arm, jemand kommt vom Bäcker, hinter den ersten Marktständen des Mittelalter-Handwerker-Marktes regt es sich. Eine junge dynamische Familienfrau im grossen schwarzen SUV braust davon … bestimmt zu einem wichtigen Termin.

Was, wenn mich jetzt jemand fragen würde, ob ich ein echter Mönch sei? Bin ich oder spiele ich? So genau könnte ich das nicht einmal sagen, denn mir ist gerade sehr wohl in der Haut und ich geniesse diese Perspektive. Ja, in diesem Moment BIN ich, ganz eindeutig.

Ist die Wirklichkeit jener Frau im SUV nun wirklicher, wichtiger, stimmiger als meine Wirklichkeit? Oder bin ich in diesem Moment gar bewusster und gegenwärtiger unterwegs als sie? Was ist den wirklich? Und was wichtig? Da kommt mir der Ausspruch des originellen und höchst eigenständigen Waldviertler Schuhfabrikanten und Unternehmers Hermann Staudinger in den Sinn. In seinem Firmenleitbild steht an erster Stelle: das Wichtigste im Leben ist das Leben!
Ja tatsächlich! Und ich möchte gar noch ergänzen: das Spannendste, das Überraschendste und das Sinnvollste wohl auch.

Kleider machen Leute – und Kutten machen Mönche: jedenfalls wurde ich an diesem Wochenende vielfach angesprochen, um Absolution gebeten, zur Beichte aufgefordert oder ans nächste Stundengebet erinnert. Auch eine Form der Kontaktaufnahme. Und offenbar hat die Kleidung eine deutliche Wirkung.

Inzwischen habe ich das Mönchgewand wieder abgelegt und der Vermieterin zurückgegeben. Sehr dankbar für diese spannende Erfahrung. Das Spielen mit den verschiedenen Wirklichkeiten möchte ich aber noch weiter ausprobieren. Bin ja gespannt, was noch alles auf uns wartet.

Eine Antwort auf „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“

  1. Lieber Christoph, liebe Renata,
    Ich freue mich für euch, dass ihr wertvolle Erfahrungen machen könnt, auch in Verkleidung! Und ich bin froh, dass du Christoph die Kutte wieder zurück geben könntest und nun wieder der Christoph sein kannst. Denn mit den Mönchen habe ich das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne.
    Als was war den Renata ins Mittelalter gereist?
    Nun ich war in dieser Woche als Pilger unterwegs. Das Vinschgau zeigte sich von der kalten Seite. Wir haben die ganze Woche nicht geschwitzt. Zum Wandern war es meist sehr angenehm, manchmal pfiff ein kalter Wind, so dass wir alle Kleider anziehen mussten!
    Aber mit unserer Gruppe unterwegs sein war ein wunderbares Erlebnis. 8 Frauen und 4 Männer waren gut gelaunt und voller Erwartungen am Montag in Müstair gestartet. Einige waren das erste Mal auf einer mehrtägigen Wanderung. Unsere spirituellen Gedanken wurden dankbar angenommen und auch die Schweigestrecken waren für alle in Ordnung. Wir hatten auch eine Vogelkundige mit dabei (eine Ordensschwester), diese kannte nicht nur alle Vögel und Pflanzen, sie konnte auch alle Vogelstimmen nach machen. Dies war ein ganz besonderes Erlebnis. Auch in einem Schloss haben wir genächtigt (Goldrain). Und überhaupt waren wir mit unseren Unterkünften sehr zufrieden. Und am Abend wurde gesungen, Wein getrunken und viel geredet.
    Urs und ich dürften nur lobende und dankende Worte entgegen nehmen. Für alle war es eine tiefe, eindrückliche Woche. Und Urs war überglücklich, ein Traum ging für ihn in Erfüllung. Die meisten reisten gestern wieder nach Hause, so wurde ich von Malou am Bahnhof freudig empfangen.
    Am Montag fängt dann meine Arbeit wieder an.
    Nun wünsche ich euch eine angenehme, freudvolle Zeit und ich freue mich wider von euch zu hören!
    Gute, endlich sonnige Grüsse aus Grabs schickt euch Thomas

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