„Landflucht“ in Bulgarien

Vrav ist unser erster TID-Übernachtungsort in Bulgarien. Die Grenzpolizei kommt an den Strand und wickelt die Einreise-Formalitäten ab. Von Vrav bis Silistra werden wir über 509 km die gesamte Nordgrenze Bulgariens entlang paddeln. Wir erleben auf der ganzen Strecke eine enorme Gastfreundschaft: an zahlreichen Orten werden wir mit Begrüssungsansprachen, Folklore-Darbietungen, Musik, Ehrungen und Fischsuppe etc. verwöhnt. Und meist ist das halbe wenn nicht das ganze Dorf auf den Beinen, um mit uns zu feiern.

Gleichzeitig ist aber unübersehbar, dass wir einen Landstrich entlangpaddeln, der in Not ist. Zahlreiche Dörfer sind dem Verfall preisgegeben, viele Wege und Gebäude drohen einzustürzen und werden von der Natur rückerobert. Beklemmend sich vorzustellen, welch buntes Landleben hier einst blühte, wie Felder und Gärten bestellt worden sind und Handwerksgeräusche ertönten. Ein hier aufgewachsener Bulgare, der als Ingenieur in den Ballungszentren von Plovdiv und Sofia gearbeitet hatte, bedauert mir gegenüber, wie das Dorf nun ausstirbt, wie er in seinem grossen Elternhaus mit Blick über die Donau vereinsamt … und dass dem Dorf die Zukunft fehle.

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TID 2019: Sonnenauf- und untergänge à gogo

„Jeden Morgen geht die Sonne auf“ ….
ich bin dankbar für diesen verlässlichen Rhythmus der Natur und die unvergesslichen Farben-Spiele und Stimmungen. Und jeden Abend geht die Sonne unter … auf dass wir Ruhe finden (ausser in Bulgarien: da wird die Nacht oftmals zum Tag, Bulgaren feiern gerne mit lauter Musik!).

PS 1: eines morgens das berührende Schauspiel eines Pelikan-Zuges über unseren Köpfen.
PS 2: sämtliche Bilder sind unbearbeitet!

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TID 2019, Teil 3 – von Belgrad durch die Karpaten nach Kladovo

Die Donau nach Belgrad ist breit, schmutzig und von beträchtlichem Lastverkehr geprägt. Es folgen anstrengende und eher einförmige 56 Kilometer bis zum nächsten Camp kurz vor Smederovo. Eine willkommene Abwechslung ergibt sich im Nebenarm hinter einer langgezogenen Insel: wieder eine der vielen selbst gezimmerten Hütten-Siedlungen, Ferien- und Fischerhäuschen offenbar, Fischergondeln liegen davor im Wasser, aufgereiht und malerisch. Eines dieser Häuschen wirkt etwas anders als die andern, hat eine grosse Wellblech-gedeckte Terrasse und zahlreiche vertäute Boote davor. Wir legen an und finden uns sogleich an knorrigen Holztischen wieder, mit einem kühlen Bier vor uns …. Bei einem Shopska-Salat warten wir auf die gegrillten Fische, direkt vom Fischer. Ein Geschenk des Himmels, wunderbar.

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TID 2019 – Teil 1 von Mohacs bis Belgrad

Am 22.Juli um 0.15 Uhr fährt mein Flixbus von St.Gallen direkt nach Budapest. Nach 13-stündiger Busfahrt, zufälligem Blitz-Umstieg (eigentlich meinte ich, in Budapest 4 Std auf den Anschluss warten zu müssen) und weiteren 3 Std Bus erreichte ich vor genau einer Woche den Ausgangspunkt Mohacs.

Der darauffolgende TID-Ruhetag ist geeignet um das Boot zu übernehmen, herzurichten und Zeltmaterial zusammenzustellen. Packprobe und erste Begegnungen mit neuen und einigen unverwüstlichen alten Gesichtern. Für mich die ideale Einstimmung auf weitere tausend Paddel-Kilometer zwischen Mohacs (HU) und Silistra (BU).

Hier stoße ich u.a. auf den 82-jährigen Horst aus Berlin, der im Klepper-2er mit einer Bekannten von Ingolstadt bis hierher gepaddelt ist. Er hört hier auf, wirkt aber immer noch kraftvoll und optimistisch. Von ihm nehme ich diese zwei Weisheiten mit auf die Tour: „Fange nie an aufzuhören, höre nie auf anzufangen.“ und „Humor ist der Schwimmgürtel auf dem Meer (dem Fluss) des Lebens.“

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TID 2019 – Teil 2 in Belgrad

Nach sieben Paddeltagen und 283 Paddel-Kilometern genießen wir heute einen ersten Ruhetag in Belgrad (Flusskilometer 1165 ). Nach einem heftigen Gewitter gestern Abend ist es bereits wieder schwül und warm, gut 30 Grad, was gegenüber der kürzlichen mitteleuropäischen Hitzewelle ja eigentlich noch moderat ist.
Wir haben Gelegenheit zu einer Stadtbesichtigung im offenen Doppeldecker- Bus. Viel Verkehr, viele marode Bauten, viele bauliche Zeugen aus der sozialistischen Aera … und auch zahlreiche Bau-Lücken bzw. Kriegsschäden, die von den Bombardierungen im Jugoslawienkrieg Anfang der neunziger Jahre stammen. Bel-Grad, die weiße Stadt, wird ihrem Namen nicht wirklich gerecht. Sie hat durch die Geschichte schon zahlreiche Kriege erlebt bzw. überlebt und wurde stets wieder auf- und weitergebaut. Diese Kriegs-Attacken waren wohl der strategisch wichtigen Lage an der Mündung der Save in die Donau zuzuschreiben.
Wenn es diese Stadtführung zu betiteln gälte, dann könnte man z.B. über den Arbeitstitel „und immer geht es weiter – die Resilienz-Kraft der Stadt Belgrad“ nachdenken.

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Vorbereitung zur 64. TID 2019

Die Tour-international-danubien wird seit der Nachkriegszeit nun schon zum 64.Mal durchgeführt. Nachdem ich 2018 die ersten gut 1000 Kilometer von Ingolstadt (DE) nach Mohacs (HU) gepaddelt hatte, werde ich dieses Jahr die Fortsetzung paddeln: weitere 1073 Kilometer von Mohacs (HU) an der ungarisch/kroatischen Grenze bis Silistra (BU). Während ich letztes Jahr mit dem eigenen Ladoga-Zweier-Faltboot paddelte, wird es diesmal ein gemieteter Kajak-Einer sein. Damit brauche ich nebst Zelt etc. bloss Schwimmweste und Paddel mitzunehmen, was die Reise (und vor allem die Rückreise ab Sofia) bedeutend einfacher macht.

Bei der heutigen Trainingstour von Steinach nach Romanshorn und zurück traf ich auf einen weiteren passionierten Paddler, welcher mir stolz sein „WindPaddle“ – ein PopUp-Segel für das Wanderkajak – vorführte. Diese Inspiration kam im richtigen Moment. Kaum zuhause recherchierte ich im Internet … und da nichts Passendes in nützlicher Frist lieferbar war, machte ich mich selbst ans Werk. Aus der Apsis eines alten Tunnelzeltes entstand jetzt mein Kajak-Segel Marke Eigenbau. Bin sehr gespannt auf den Testlauf in den nächsten Tagen.

Meine Packliste ist erstellt und das Meiste liegt inzwischen bereit.
Montag 22.7.19, 00.15 Uhr: Fahrt mit Flixbus von St.Gallen nach Budapest, dann mit Volanbusz weiter bis Mohacs
Dienstag 23.7.19: Ruhetag in Mohacs und Zollformalitäten für Serbien Mittwoch 24.7.19: Start in Mohacs bei Flusskilometer 1448
hier der offizielle Tourplan der TID mit Kilometerangaben
Samstag 24.8.19: Ankunft in Silistra bei Flusskilometer 375 / Abschiedsabend von der bulgarischen Strecke
Sonntag 25.8.19: Fahrt per Bus nach Sofia / 2 Hotelübernachtungen (nach den vielen Zeltnächten)
Dienstag 27.8.19: Flug von Sofia nach Zürich, Ankunft in ZH 08.35 Uhr

Woche 15 / 29.Juni – 4.Juli

Am Freitagmorgen verliessen wir den grünen Garten in Maldegem und fuhren Richtung Antwerpen. Der zunehmend dichte, abenteuerliche und dreispurige Lastwagen-Verkehr lässt keine Zweifel offen: wir sind in der Nähe eines der wichtigsten Handelshäfen (und angeblich auch Drogen-Umschlagplatzes) Europas. Mit höchster Konzentration und Navigations-Anstrengung umfahren wir diesen Kontenpunkt und erreichen schliesslich die Provinzstadt Mechelen. Nett und ebenfalls von Wasserwegen durchzogen, steht diese aber klar im Schatten der berühmteren Schwestern Brügge und Gent. Wenig später dann ein Halt in einer der ältesten Universitätsstädte Europas, in Löwen/Leuven. Hier wieder ein pulsierendes Zentrum voller junger Menschen und altehrwürdiger Gebäude, die sich in ihrer Verspieltheit sehr gut mit dem jungen Flair vertragen. Richtig schön, frisch und sympathisch, nicht zuletzt wegen der guten Eisdielen.
Die Stadt hätte zwar etwas ausserhalb einen gut klingenden Stellplatz, die Verkehrsführung war hier aber einmal mehr so verwirrend und unübersichtlich, dass wir es vorzogen andernorts um einen Übernachtungsplatz Ausschau zu halten. An Lüttich/Liège vorbei erreichen wir das Tal der Ourthe und den kleinen Ort Tilff, wo wir beim Carrefour tanken und gleich auch einen passenden Parkplatz am Flüsschen vorfinden. Ein warmer Sommerabend zieht überraschend viele Menschen in die Gassen; die für den kleinen Ort erstaunlich zahlreichen Restaurants und Terrassen sind voll, die Ferien-Atmosphäre dringt bereits durch. In Belgien ist an diesem Freitagabend Ende Juni Sommerferien-Beginn und die Schüler geniessen nun volle zwei Monate ihre Sommerruhe.

Anderntags gondeln wir gemütlich durch das Tal der Ourthe, queren mehrfach den gemütlich mäandrierenden Fluss, passieren stimmungsvolle kleine Ortschaften und erreichen schliesslich Aywalle. Wir nehmen überrascht zur Kenntnis, dass der geschichtsträchtige Bade-Kurort Spa (der dem heute so verbreiteten Wellness-Trend möglicherweise seinen Namen lieh / lateinisch „sanus per aquam“, gesund durch Wasser) ganz in der Nähe liegt und dass Spa/Francorchamps mit seiner Formel-1-Rennstrecke seit 1925 Austragungsort des „Grossen Preis von Belgien“ ist. Die liebliche Hügellandschaft und eine derartige Rennstrecke, mit allen Zufahrtsstrassen, Tribünen, Parkplätzen, Schilderwald etc. passen wie die Faust aufs Auge. Hier geht mir jedes Verständnis ab für Sinn und Nutzen solcher Anlagen.
Die Landschaft bleibt dennoch als schön in Erinnerung; übrigens eine Gegend die bis zu den Versailler Verträgen von 1920 zu Deutschland gehörte und in der die deutsche Sprache an Bedeutung gewinnt, ja sogar zur Umgangssprache wird, je näher wir zur Grenze kommen.
Ja, Belgien ist ein dreisprachiges Land, schafft das versöhnliche Miteinander von flämisch, französisch und deutsch sprechenden Landesteilen aber anscheinend nicht wirklich herzustellen. Nach Ansicht unseres Gastgebers liegt der Grund darin, dass der erfolgreiche und reiche Norden nur begrenzt Lust habe, den légèren und tendenziell „fauleren“ Süden mit Ausgleichszahlungen zu unterhalten.

Nach Besuch der modern restaurierten Klosterruine in Stavelot (sie beherbergt heute ein sehr ansprechendes Museum zeitgenössischer Kunst) und des Bezirksortes Malmedy erklimmen wir das Hochplateau des Hohen Venn. Der Parkplatz beim Signal de Botrange ist ideal für durchreisende Camper (und anscheinend auch für Bauernbuben aus der Nachbarschaft, die hier spätnachts unerlaubterweise ihre Fahrschule absolvieren und endlose Runden drehen; der Fahrer bzw. Fahr-Knabe sah knapp über das Lenkrad hinaus und dürfte wohl kaum älter als 14 gewesen sein). Der Ort lohnt dennoch eine Übernachtung, ist man doch anderntags schon gleich zum Sonnenaufgang auf den Wegen durch das Hochmoor. (vgl. Beitrag Renata zum Hohen Venn)

Am Sonntagnachmittag fahren wir bei hochsommerlichen Temperaturen über die Grenze nach Deutschland, folgen dem Kylltal, welches für seinen Radwanderweg auf der Trassee einer stillgelegten Dampfbahn bekannt ist und gelangen schliesslich in die Vulkan-Eifel, eine abenteuerlich klingende und uns bislang unbekannte Gegend. Das kleine und sympathische Feriendorf am Pulvermaar bei Gillenfeld bietet uns einen fantastischen Stellplatz, sozusagen auf einem ehemaligen Kraterrand. Mehr zu den Maaren in der Eifel.

Am Montag gönnen wir uns einen ausgedehnten Schreib-, Lese- und Badetag am Pulvermaar, fahren per Velo zum Einkauf, geniessen ein Grill-Znacht … und freuen uns, als am Abend ein weiteres Reisemobil mit AR-Kennzeichen aus der Schweiz anfährt. Schnell stellt sich heraus, dass diese vielgerreisten Camper aus Gais AR stammen …. und dass er vor gut 25 Jahren als Baggerführer den Aushub der Häuser in unserem Quartier gemacht hatte. Wie klein die Welt doch ist.
Nach einer weiteren Übernachtung am Pulvermaar lädt das schöne Wetter am Dienstag zu einer Radtour zum „Strohner Määrchen“ (einem kleinen verlandenden Krater-Moor), zur „Lavabombe“ in Strohn und dann weiter ins Tal des Alfbach. Ein idyllisches und liebliches Wiesental mit schönen Blumenwiesen. Wo zu Zeiten des hiesigen Klosters die Kapelle Schutzalf stand, erinnert heute eine liebevoll gestaltete stille Gedenkstätte mit einem schlichten Glockenstuhl. Ein rühriger Gemeindepräsident hat die Geschichte dieses besonderen Ortes recherchiert und zugänglich gemacht. Chapeau. Danach geht die Fahrt zurück, vorbei am Vulkanhof, der mit den auserlesenen Ziegenprodukten natürlich zu einem Halt einlädt: ein exquisiter Käseteller mit einem Schluck Moselwein und dem Meckern der Ziegen im Hintergrund. Was könnte stimmiger sein?
Anschliessend fahren wir via Steinerberg (der dortige Aussichtsturm mit wunderbarem Blick über die Vulkaneifel lohnt den Aufstieg) und via Ulmen an die Mosel, wo beim Winzer in Ellenz-Poldersdorf ein perfekter Stellplatz zur Übernachtung einlädt.

Der wunderschön frische Mittwochmorgen ist wie gemacht für eine Radtour nach Ediger-Eller (Christoph) bzw. für eine Fährenfahrt nach Beilstein (Renata). Eigentlich wären hier die perfekten Bedingungen, um endlich unser Faltboot aufzubauen und ein weiteres Stück Mosel zu paddeln. Da wir am Donnerstagabend zuhause ankommen möchten, ruft uns die Strasse: mittags fahren wir weiter Mosel-abwärts bis Brodenbach, dann auf die Hunsrück-Höhenstrasse und per Autobahn in Richtung Karlsruhe. Ein günstiger gelegener und ausreichend ausgestatteter Stellplatz am Albgaubad in Ettlingen bei Karlsruhe ist unser Übernachtungsort. Beim Spaziergang durch das sympathische alte Marktstädtchen Ettlingen wächst uns dieser Ort geradezu ans Herz, soviel Wasser, Grünflächen, liebevoll restaurierte Gassen und Häuser … und unweit unseres Stellplatzes gelangt man mit wenigen Schritten ins Grüne. Weite Naturwiesen mit frei zugänglichen Hochstamm-Obstbäumen, Schrebergarten-Flächen, alten Parkbäumen und einem munteren Bächlein stehen der Bevölkerung zur Verfügung. Kein pefekt getrimmter steriler Park, keine eingezäunte landwirtschaftliche Zone, einfach ein naturbelassener Lebensraum zur allgemeinen Nutzung. Wie schön.

Am Donnerstag folgen wir der Bundesstrasse bis Pforzheim, nehmen dann die Autobahn Richtung Singen – und entscheiden uns kurzentschlossen zu einem späten Mittagshalt in Donaueschingen. Ein Versäumnis, dass wir diesen Ort nicht schon früher mal besucht hätten. Ein super Stellplatz, von dem aus der wunderbare Fürstenberg-Park durchschritten wird, um ins Ortszentrum zu gelangen. Beim fürstlichen Schloss lädt natürlich die (symbolische) Donauquelle zum Besuch. Dies umso mehr, als Christoph in 14 Tagen zu weiteren 1000km Paddeln auf der Donau aufbrechen wird. Während er an der TID 2018 die ersten 1000 Donau-KM von Ingolstadt (DL) nach Mohacs (Ungarn) paddelte, folgt mit der TID 2019 die zweite Teilstrecke von Mohacs an der ungarisch-kroatischen Grenze bis nach Silistra (Bulgarien). Die Donau ihrerseits fliesst dann noch knapp 500km weiter bis zur Mündung ins Schwarze Meer.

Nach einer kurzen Mittagspause nehmen wir das letzte Teilstück unter die Räder und treffen Punkt 17 Uhr in Trogen ein, wo wir von Lukas und Lisa sehnlich erwartet und sehr herzlich empfangen werden. Wir geniessen in den folgenden Tagen die zahlreichen Begegnungen mit lieben Freunden, geniessen es Zeit zu haben für ausführliche Gespräche und Austausch und freuen uns, wie selbständig sich unser Garten entwickelt hat. Nach dreieinhalb Monaten ist der Blick auf das Gewohnte wieder frisch und unvoreingenommen und die Freude über das, was sich entwickeln konnte (nicht nur im Garten), gross.

Wir sind glücklich und zufrieden zuhause angekommen, dankbar für die unfallfreie Fahrt über gut 5000 km während der rund 3,5 Monate. Viele Erfahrungen durften wir machen, viele schöne Zu-fälle und Begegnungen geniessen und viele Anregungen zum Nachdenken mit nach Hause nehmen. Bis zur nächsten Etappe.

Wochen 13 und 14 / 17.-29.Juni

Unsere ersten Eindrücke in Belgien: eine weite und flache Landschaft, ideal zum Velofahren; freundlich grüssende Menschen mit zuvorkommender Sympathie gegenüber RadfahrerInnen. Aber auch Schnellstrassen mit hektischem Verkehr, abenteuerlichen Abzweigungen – Kreisverkehr scheint hier noch wenig verbreitet zu sein – und dichtem Lastwagenverkehr auch an Wochenenden. Auf dem Land rumpelt es zuweilen noch beträchtlich auf Abschnitten mit Betonplatten-Strassen oder gar mit rustikalem Kopfsteinpflaster. Dann die vielen Einfamilienhäuschen mit den akkurat gepflegten Vorgärten, die Rasenflächen mit Bürstenschnitt, farblich sortierte Blumen in Reih und Glied und Gartenzwerge die stramm stehen. Ausgewanderte Schweizer? Viele kleinere Dörfer und Wohnsiedlungen wirken etwas ausgestorben, wenn auch sehr gepflegt.

Unser Workaway-Einsatzort stellt demgegenüber ein absolutes Kontrastprogramm dar. Der ehemalige Bauernhof wurde die letzten 25 Jahre über als Bed&Breakfast und Ferienort für Familien betrieben, ein sehr vielfältiger Lebensraum für Menschen, Pflanzen und Tiere. Je nach Standpunkt ein paradiesischer Ort, ein Garten Eden, ein Abenteuer-Spielplatz, ein Urwald oder ein unübersichtliches Durcheinander. Das meernahe und doch warme Klima begünstigt ein üppiges Wachstum; da ist es eine ständige Herausforderung, die Balance zwischen Natur und Kultur zu schaffen bzw. naturnah zu Gärtnern ohne zu verwildern. Die gewährende (passive?) Haltung gegenüber allem was Früchte trägt oder tragen könnte hat etwas Grosszügiges und Einladendes; der Tagesablauf ist von Gelassenheit und Ruhe geprägt. Jedoch fiel es uns zuweilen nicht leicht, darin den „roten (oder besser grünen?) Faden“ zu sehen bzw. die gestaltende Absicht zu erkennen und die ordnende Hand zurückzuhalten. Viele Impulse zur Selbst-Reflexion jedenfalls .
Welches Leitbild des Gärtners gilt bzw. trägt wohl? Sagt die Gärtnerin den Pflanzen, wo’s durchgehen soll bzw. was wo wachsen darf …. oder ist es vielmehr der Gärtner, der sich dem Wachstumswillen der Pflanzen unterzuordnen hat und höchstenfalls kluge und minimale Eingriffe vornimmt? Eine einfache und allgemeingültige Antwort darauf gibt es wohl nicht. Beide Positionen scheinen situativ angemessen …. und können – absolut verstanden – in Erstarrung oder Chaos führen.

Auch in Belgien kann es sehr heiss sein: während die Durchschnitts-Klimatabelle für den Monat Juni von 21 Grad sprach, vermelden die Meteodienste derzeit zwischen 28 und 35 Grad. Tatsächlich aussergewöhnlich. Zum Glück kennt Belgien eine hochstehende Bierkultur: wir können unzählige Abtei-Biere in allerlei Varianten ausprobieren.

Ein Fahrrad-Ausflug nach Brügge lässt uns eine malerische Stadt mit vielen Kanälen – und Touristen – entdecken. Für Museen ist es zu warm, das Flair in den Gassen ist aber alleweil sehenswert und dem Auge bzw. der Kameralinse bieten sich viele schöne Blickwinkel an.

Am Wochenende steuern wir frühzeitig den Stellplatz beim Yacht- und Kanuklub in Gent an. Diese ebenso malerische, quirlige und bunte Stadt begeistert uns. Man spürt allenthalben die Kreativität und Experimentierfreude in dieser studentisch geprägten Universitätsstadt. Unzählige Plätzchen und Winkel um sich aufzuhalten, auszutauschen, zu sinnieren und flanieren. Gent hat den Donnerstag zum städtischen Vegi-Tag erklärt und sich damit zur Vegi-Hauptstadt Europas gekürt. Eine gute Sache, die – wenn aus Sicht der katholischen Tradition überhaupt nicht neu und bloss einen Tag vorverschoben – offenbar das nötige Sex-Appeal hat und einen unerhörten Marketing-Effekt erzielt. Sympathisch allemal, dass es hier so viele kleine, kreative und persönlich geprägte Vegi-Restaurants gibt. Während wir am Samstag inmitten unzähliger Touristen die malerischen Gassen und Kanäle abschreiten und wirklich originelle Gebäude sehen, bietet der Sonntag dann ein authentisches Gent in den Aussenquartieren: Flohmarkt, Quartierbeizen, eine Musik-Veranstaltung des städtischen Integrationsbüros mit Migranten – und in den Ruinen der Sint-Baafs-Abtei erleben wir dann ganz zufällig noch ein aussergewöhnliches Konzert aserbeidschanischer Musiker: die Botschaft Aserbeidschans hat offenbar etwas zu feiern und gibt deshalb für Landsleute und Bevölkerung dieses Konzert. Wieder mal so ein besonderer Zu-Fall.

In der zweiten Woche arbeiten wir wiederum morgens unsere 4-5 Stunden im Garten: Triebe ausbrechen bei den Weinreben (ja, die gibt es hier, sowohl im Tunnel als auch im Aussengelände), Beeren ablesen, Jäten; und Christoph ist wieder beschäftigt mit Mähen und mit dem Ausroden unzähliger Quadratmeter Dickicht zwischen Feigenbäumen, Reben, Beeren und Hühnerstall; das lässt zuweilen an Sysiphus denken. Spätnachmittags folgen dann kleine Ausflüge, etwa in die holländische Polderlandschaft an der Wester-Schelde. Hier ziehen im Abenddunst unzählige Frachter, Fähren und andere Riesenschiffe vorbei, die meisten mit dem Ziel zum Hochseehafen Antwerpen oder ins Industriegebiet von Gent.

Ein anderer Ausflug führt in das Naturschutzgebiet ZWIN; ehemaliger Luftwaffen-Flugplatz der deutschen Besatzer und Waffen-Standort im Atlantik-Wall während des zweiten Weltkriegs. Heute ein grosszügiges Naturschutzgebiet, ein moderner digitalisierter Ausstellungsort (dank Webcam und Virtual Reality müssen die Schüler nicht mehr unbedingt nach draussen in die Natur, um Beobachtungen zu machen … ???) und die Lagune bzw. Polderlandschaft ist zweifellos ein beliebtes Ferien- und Durchreise-Ziel für Vögel. Hier gibt es die wenigen Kilometer natürlicher Strand an der ansonsten weitgehend verbauten belgischen Küste. Das sei anscheinend nachvollziehbar, wenn man bedenke, dass ein ganzes Land mit 92 km Küstenlinie auskommen muss. Was soll da die Schweiz dazu sagen …?

Bei feinem Essen aus dem eigenen Garten und selbstgekeltertem Wein ergeben sich mehrere interessante Tischgespräche mit unserer Gastfamilie. Die Gespräche über Ökologie, Reisen, Politik etc. lassen auch noch andere Dimensionen von Belgien erahnen: das Land schlägt einen neuen Rekord mit mittlerweile 557 Tagen ohne gewählter Regierung. Die politischen Lager und damit auch die Gräben zwischen Wallonien (fanzösischsprechender Süden) und Flandern (flämisch/holländisch sprechender Westen und Norden) und deutsch sprechender Minderheit im Osten scheinen derzeit besonders tief und werden durch die (symbolische) Monarchie bloss noch notdürftig zusammenghalten. Das Völkergemisch in diesem „Scharnier-Staat“ scheint mit latenten Konflikten zwischen „reichem Norden“ und „armem Süden“ ständig beschäftigt zu sein. Nicht gerade eine Vorbildfunktion für das von Interessenkonflikten gebeutelte Europa – trotz EU-Sitz.

Woche 12 / 10. – 16.Juni

Am Pfingstsonntag verabschiedeten wir uns im Caillou Blanc. Der Weg führte uns via Pleyben (mit seinem berühmten “ enclos paroissial“, der Einheit von Kirche, Triumphtor, Beinhaus und „calvaire“) nach Huelgoat. Mitten im „Parc régional de l’armorique“ und inmitten einer riesigen urtümlichen Wald-Landschaft liegt dieser Ort an einem idyllischen Waldsee. Unser Besuch hier ist allerdings von grauen Wolken und heftigen Regengüssen geprägt. Für uns wird plastisch nachvollziehbar, weshalb die Bretagne eine derart grüne Landschaft ist …. Die geradezu mystisch anmutende Felsen-Schlucht bei Huelgoat konnten wir in einer Regenpause durchwandern. Eindücklich.

Die Nacht verbrachten wir dann bereits an der Côte du granit rose, zwar einige Kilometer hinter der Küste beim Stellplatz des Parc Randôme, dafür mit einem überraschenden Konzert gleich nebenan.

Tags darauf die Küstenwanderung im Vogelschutzgebiet der Ile Grande; der Zugang zu dieser im vorderen Teil recht dicht besiedelten Insel ist in der Regel über eine Furt möglich, bei Flut und hohem Gezeiten-Koeffizienten ist die Zufahrt dann jedoch stundenweise überflutet. Natürliche Verkehrs-Regulation.

Am diesem Pfingstmontag wage ich mich – bei herrlich dramatischem Wolken-Szenario und kühlem Wind – zum zweiten Mal ins Meer, an der Plage de la Grève Blanche bei Trécastel. Bei 16 Grad lässt es sich schon angenehm schwimmen. Da die Wetterprognose schlecht ist, steuern wir den Campingplatz „les 7 îles“ in Port l’Epine an. Direkt am Meer mit Blick nach Westen „vertäuen“ wir uns in Erwartung des angesagten Sturms. Dieser kommt zuverlässig, zerrt und schaukelt an unserem Bus während der Nacht … und gewährt uns anschliessend einen ausgiebigen Regentag mit Zeit zum Whatsappen und Blog nachführen. Im späten Dienstag-Nachmittag wagen wir dann den Aufbruch …. und siehe da, auch der Himmel reisst auf. An der „Bilderbuch-Küste“ der Pointe du Château bei Le Gouffre ergibt sich ein wunderschöner Strand-Spaziergang in malerischer Landschaft; wieder ein Stück auf dem Sentier des douaniers. Der Stellplatz am Bois du poète in Tréguier bietet uns eine ideale Übernachtungsmöglichkeit, direkt am Fluss der hier noch deutlich vom Gezeitenstand geprägt ist. Das Städtchen Tréguier nimmt uns sofort „den Aermel rein“: das sehr schöne und kompakte Gesicht der Stadt, etwa bei Kathedrale und Marktplatz, das warme abendliche Sonnenlicht, bezaubernd. Es sind aber auch die zahlreichen originellen und unkonventionellen Dekors und Kulturplakate, Zeichen und Sprüche, die bei uns den Eindruck einer quirligen Stadt mit vielen kreativen Menschen hinterlassen.

Der Mittwoch beginnt wieder mit Regen; somit verzichten wir auf den Marktbesuch und fahren gleich ein grosses Stück weiter nach Osten: Mittagshalt mit Muschel-Essen in Binic. In Dol-de-Bretagne eine Ruhepause mit Besuch der Kathedrale und des Museums: das Cathédraloscope hat den Anspruch, mit modernen Mitteln darzustellen, unter welchen Bedingungen die Kathedralen seinerzeit erbaut worden sind. Nun, die Werbung hat meines Erachtens mehr versprochen als geboten wurde: das Museum hat mir nicht besondere Neuigkeiten erschlossen. Aufschlussreich war allerdings der mehrfache Hinweis, dass die Kathedralbbauten meist Kollabborationsprojekte weltlicher und kirchlicher Mächte waren, und dass die Zünfte die damaligen MEGA-Projekte wohl auch als willkommene Arbeitsbeschaffung sahen. Das 12. und 13.Jahrhundert wird in diesem Kontext als prosperierendes und *reiches“ Zeitalter dargestellt.

So eingestimmt übernachten wir auf dem sympathischen Stellplatz La Bidonnière in Ardevon, mit direktem Blick auf den Mont St.Michel. Den ganzen Donnerstag verbringen wir sodann um und auf diesem eindrücklichen Klosterberg. Wenn auch touristisch übersteuert, so bleibt die einmalige Lage und die bauliche Geschiche dieses Ortes doch einzigartig. Wir lassen uns viel Zeit, die Atmosphäre zu erfahren und nehmen mittags am Gottesdienst teil: eine kleine aktive Gemeinschaft von Nonnen und Mönchen belebt das Kloster des Mont St.Michel wieder. Eindrücklich auch das Spiel der Gezeiten um diesen Hügel und die endlose Weite des Strandes bei Ebbe. Abends ziehen wir weiter an die gegenüberliegende Küste, wo uns Park4night einen wunderschön einsamen Stellplatz in den Dünen von Génets empfahl, mit direktem Blick auf den Mont St.Michel und endlich auch mit einer sonniger Morgenstimmung.

Freitags die Weiterfahrt nach Bayeux, wo Renata die weltberühmte gestickte Tapisserie besichtigt; auf einem 70 Meter langen Band ist die Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer dargestellt. Anschliessend erreichen wir den eindrücklich gelegenen Natur-Stellplatz direkt über der Steilküste in Longues-sur-mer. Schon sonderbar, dass die Eroberungs- und Kampf-Geschichten an dieser Küste derart präsent sind; es ist wohl dem aktuellen Jubiläumsjahr des Débarquement zuzuschreiben, dass die Bunker-Anlagen aus dem zweiten Weltkrieg derzeit so stark besucht werden.

Am Samstag dann die grosse Etappe an die Aermelkanalküste bei Ambleteuse, wo wir auf einem Pferdezuchthof einen idyllischen Stellplatz mit herrlicher Sicht auf Meer und Dünen vorfinden. Die „dunes de la slack“ bieten herrliche Spaziergänge und lassen nachvollziehen, wie fragil die Vegetation hier ist. Etwas wehmütig verlassen wir am Sonntagnachmittag diesen schönen Platz. Die Fahrt entlang der normannischen Opal-Küste und zum Cap du Nez Gris bezaubert uns erneut und lässt erstmals die Lust aufsteigen, später auch mal die Küsten Englands und Irlands zu besuchen; zumal wir hier, an der engsten Stelle des Aermelkanals die Felsen der englischen Küste schwach erkennen können. Anschliessend geht es in flotter Fahrt weiter nach Belgien, wo uns am Montag unser nächster Workaway-Einsatz erwartet.