Klein aber fein – und ein starker Hauch von Welt …

In Montsoreau an der Place du Mail trafen wir am Sonntag zufällig auf den Salon de thé „Le2“. Teestube, dezente Jazz-Musik, sehr persönlich eingerichtet; in der Galerie im Nebenraum wird ein indischer Maler ausgestellt – und wunderschöne ausgewählte Produkte, Schals und Schmuck, sind zum Verkauf. Da liegt es natürlich auf der Hand nachzufragen: Richard, der Inhaber, hat – nach vielen Jahren als Projektingenieur im Ausland und besonders in Indien – sich nach der Pensionierung hier „zur Ruhe gesetzt“ und tut jetzt nur noch was ihm Spass macht. Eine sehr angenehme und inspirierende Atmosphäre!

Excursion á St.Nicolas-de-Bourgeuil

Woche 6 / 29.April bis 5.Mai 2019

Höchste Zeit wieder etwas zu schreiben. Der Bus ist gepackt; morgen Montag vormittag geht es weiter. Wir verlassen das Château du Petit Thouars, wo wir nun über mehr als zwei Wochen unseren Workaway-Einsatz absolvierten. Nun bleiben uns zwei Wochen Transfer-Zeit, bis am 17./18.Mai in Clohars-Fouesnant in der Bretagne der nächste Einsatz beginnt.

Das Loire-Tal mit seinen Schlössern haben wir nun gesehen: und dass wir zuletzt noch ein Schloss „von innen“ erleben durften, war bestimmt ein besonders lehrreicher Eindruck. Denn auch nach gut zwei Wochen bleibt die Bilanz eindeutig: hier gibt es – auch noch Jahrhunderte nach der französischen Revolution – einen offensichtlichen Unterschied zwischen Schlossbesitzern und Bediensteten. (Entgegen meiner Annahme im vorausgehenden Artikel.) Erstaunlich, da es sich bei den Schloss-Erben ja eigentlich um ein junges Paar handelt, das zuvor in Paris gelebt hatte. Uns gelang es bis zuletzt nicht wirklich, ein lockeres, vertrauensvolles und von gegenseitigem Interesse geprägtes Verhältnis zu den Hosts aufzubauen – und unsichtbare aristokratische Grenzen zu durchbrechen. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass diese mit all ihren Aufgaben und den organisatorischen Anforderungen ziemlich ge(über)fordert sind.

Ganz anders jedenfalls die zahlreichen Begegnungen mit den anderen Hand-Arbeitern. Hier ergaben sich wunderbare, fröhliche, lustige und hilfsbereite Begegnungen, hier war gegenseitiges Interesse spürbar und wir brachten in dieser Zeit auch richtig viel gemeinsam Zustande: eine riesige Parkanlage gemäht, viele (Rosen-)Beete gejätet, für die Kinder einen kleinen Garten angelegt und ein Zeltgerüst aufgebaut, geputzt, geordnet …etc. Renata hat beim Jäten verschiedene Phasen durchgemacht, sich zuweilen über das Desinteresse der Hosts gewundert, geärgert – und schliesslich zur Einsicht gefunden, dass sie dies den Rosen zuliebe tun will. Wunderbare Einstellung. Das erinnert mich unweigerlich an die Worte von Angelus Silesius:
„Die Ros‘ ist ohn Warum,
sie blühet weil sie blühet,
sie tracht‘ nicht ihrer selbst,
fragt nicht, ob man sie siehet“.

Wir konnten insgesamt gut für unser inneres Wohlbefinden sorgen und uns wenn nötig abgrenzen: der eigene Camper im Hof war uns zuweilen für kurze Momente ein hilfreicher (und warmer) Rückzugsort. Zudem sorgte der erste Mai für einen entspannten Unterbruch.

Das vergangene Wochenende hatten wir mit einem „Kompensationstag“ zu einem dreitägigen Ausflug verlängert: Villaine-les-Rochers, ein kleines beschauliches Dorf im Departement Indre et Loire, ist in ganz Frankreich als Zentrum der Korbflechterei bekannt. Ein interessantes und sehr anschauliches Museum gibt Einblick in alle Facetten dieses Handwerks. Ein Rundgang durch das Dorf, die teils in Höhlenwohnungen befindlichen Korber-Werkstätten und durch die Haine und Felder mit Korbweiden, lässt die jahrhundertealte Tradition dieses Dorfes lebhaft nachvollziehen. Inspirationen für die zahlreichen Bünde sortierter Weidenruten, die noch zuhause in meinem Schopf lagern. Zur Galerie „Villaine-les-Rochers“.
Von hier aus ging’s weiter nach Tours, der Stadt des heiligen Martins. Park&Ride, per Bus in die Innenstadt, Kathedrale, Museum über das französische Handwerkswesen bzw. über die Handwerker auf der Walz, auf der Tour de France (museum de la Campagnonnage), Museum für zeitgenössische Kunst (CCCOD – centre création contomporaine olivier debré), alles gute Möglichkeiten, der ungewöhnlichen Kältewelle auszuweichen. Wir merkten aber wieder einmal mehr, dass wir nicht für Grossstädte gemacht sind – und zogen am frühen Abend weiter zu einem wunderschönen und ruhigen Stellplatz direkt am Ufer des Cher, im beschaulichen Dorf Savonnières. Von hier aus konnten wir am Montag zu Fuss das nahegelegene Schloss Villandry mit seiner einzigartigen Gartenanlage besuchen. Zur Galerie „Villandry“

Gestern Samstag dann nochmals ein ganz besonderes Ausflugs-Erlebnis: François, der Chocolatier (vom Tag der offenen Tür) hat uns auf eine Randonnée in St.Nicolas-de-Bourgeuil eingeladen. Mit dabei ein befreundetes Paar aus Orléans. Wir treffen uns direkt beim grossen Weingut „la chopiniére du roy“ in St.Nicolas-de-Bourgeuil, dem einzigen Ort in Frankreich, der gleich eine gemeindeweite AOC-Anerkennung (Cabernet Franc) erwirken konnte. (Fazit davon: alle Bauern hatten danach ihre traditionellen Mehr-Sparten-Betriebe sukzessive umgestellt, Gemüse-, Obstbau und Viehhaltung aufgegeben und vollumfänglich auf Rebbau gesetzt. Profit statt Biodiversität.)
Zunächst ein lehrreicher Rundgang durch die riesigen, flachen Weingärten auf ziemlich sandigem Boden. Auch hier sind die Weinbauern mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert und experimentieren mit allerlei Mitteln, wie den zunehmenden Frost-Risiken zu begegnen sei. Jene Felder, die in kritischen Nächten mit Sprühregen berieselt worden sind, weisen deutliche Wachstums-Vorsprünge auf. An einer andern Stelle wurde mit einem gasbetriebenen Windrad experimentiert: dieses wälzt in den kritischen Nächten die oberen wärmeren Luftschichten um (auf 10-15m) und verteilt die wärmere Luft in bodennahe Schichten. Auch hier ein sichtbarer Wachstumsunterschied gegenüber den unbehandelten Zonen.
Nach einem deftigen Mittagessen nach Winzerart und diversen Weinproben konnten wir am Nachmittag einen zweiten Rundgang machen. Am oberen Dorfrand liegen riesige Weinbergflächen am leicht ansteigenden Hang; mittendrinn eine Art „Tunneleinfahrt“. Der Eingang in ein rund 25 Hektaren grosses gemeinschaftliches Kellersystem unter den Weinbergen. In diesen ehemaligen Steinbrüchen wurde jener Sandstein abgebaut, mit dem die zahlreichen Schlösser, Kirchen und Kathedralen der Umgebung errichtet wurden. Unvorstellbar, wieviel Schweiss und Handarbeit allein schon für den Abbbau nötig war. Rund 400 Meter führt der Weg unter den Weinbergen hindurch, bis der Degustationskeller dieses Weinguts errreicht ist. Hier lagern jene Weine, die im Barrique ausgebaut werden. Eine eindrückliche Szenerie … wenn auch die hier gekosteten Weine mir persönlich nicht besonders gehaltvoll und abgerundet erscheinen.
Gegen Abend lädt uns François noch zu einem Apéritif zu sich nach Hause ein. Bei Crémant aus der Gegend von Saumur-Champigny lässt sich wunderbar diskutieren. Das angeregte Gespräch und damit der Apéritif ziehen sich bis nach 21 Uhr hin: einmal mehr ein wunderschönes Erlebnis, wie fünf wildfremde Menschen – allerdings alle in ähnlicher Lebenslage, wir zwei gut sechzig und die andern drei um die siebzig – sich in kürzester Zeit in einem vertrauensvollem Gespräch finden und über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg Gemeinsamkeiten entdecken können. Merci beaucoup, François.

Klar ist: die nächste Etappe wollen wir den Steinbrüchen und Höhlen des Anjou widmen. All dem, was weniger offensichtlich, weniger prunkvoll und meist unter der Oberfläche liegt – und den Prunk der Loire-Schlösser überhaupt erst möglich gemacht hat.


Stimmungsbilder aus dem unteren Loire-Tal

Gedanken bei der Arbeit (bzw. beim Tätigsein)

Renata hat die Gartenbeete und Kieswege vor dem Schloss gejätet. Und ich (Christoph) hatte derweil mehrere hundert Meter Alleebäume und Hecken mit der Motorsense ausgemäht. Das füllte die vier vergangenen Tage komplett (zumindest wenn man diese Arbeiten mit der hierzulande legendären Schweizer Gründlichkeit ausführt). Die Arbeit geht zuweilen in den Rücken; draussen zu arbeiten, mit Natur und Erde in Kontakt zu sein und am Ende des Tages zu sehen, was man geleistet hat, macht aber eindeutig Spass.

Bloss, wenn ich den Eingang um den in den Kalkfelsen gehauenen Weinkeller ausmähen soll, und mir der Kellermeister erklärt „heute sei er der Chef!“, dann sträubt sich (immer noch) etwas in mir. Sei’s denn, aber ich arbeite ja grundsätzlich freiwillig, bestimme selbst und brauche definitiv keinen Chef. „la vie est un piège“, das Leben ist eine Falle …. philosophiert er sogleich, und tatsächlich hat er mich damit an einem wunden Punkt erwischt.
Ich möchte grundsätzlich mit einem „copain“ freundschaftlich zusammenarbeiten, kann mich selbst motivieren (wenn mir das gemeinsame Ziel einleuchtet) und möchte mein eigener Herr und Meister sein und bleiben.

Das führt mich in dieser Ambiance mit aristokratischer Geschichte unweigerlich zur Erinnerung an Madame deMeuron, die legendäre Berner Patrizierin. Ihre berühmte Anrede „Syt der öpper oder nämet der Lohn?“ („Sind Sie jemand, oder beziehen Sie Lohn?“) ist da sehr vielsagend. Existenzrecht und Würde scheint (war) den Einen per Geburt gegeben, die andern mussten ihre Existenzberechtigung mit Lohnarbeit abverdienen.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr scheint mir dies eine verkappte oder moderne Form der Sklaverei zu beschreiben. Ja, wie oft ist die Angst um Einkommen und Existenzsicherung der Grund, weshalb auch an sich ungeliebte oder nicht wirklich überzeugende Arbeiten ausgeführt werden, häufig verbunden mit stillem Groll und einem Klumpen im Bauch.

Einmal mehr meine ich, dass menschliche Würde eigentlich automatisch und per Geburt gegeben ist. (vgl. etwa die Würdekompass-Gruppen, die auf Initiative von Gerald Hüther am Entstehen sind). Daraus folgt das Recht auf Existenzsicherung (bedingungsloses Grundeinkommen) und das Recht eines jeden Menschen, seine Kreativtät, seine Arbeitskraft und seinen Idealismus grundsätzlich freiwillig einzusetzen. Das ist (oder wäre) dann gemeinsames Arbeiten auf Augenhöhe, Soziokratie oder wie man dem auch immer sagen will. Ein dickes Plädoyer für die Freiwilligkeit.

Die bereits erwähnte Madame deMeuron sah dies pragmatisch(er): „Im Himmel sy mir alli glych, aber hie uf Ärde herrscht Ordnig.“ („Im Himmel sind wir alle gleich, aber hier auf Erden herrscht Ordnung.“). Das mag zu ihrer Zeit und aus ihrer Perspektive ja so gewesen sein; zum Glück aber sind wir wieder einige Jahrzehnte weiter in der gesellschaftlichen Entwicklung!

Im Lande der (R)evolution

Vielleicht kommt es doch nicht ganz von ungefähr, dass wir uns vor vier Jahren beim Kauf unseres Camping-Cars für den „Globecar (R)Evolution“ entschieden hatten. Tatsächlich hat der Name schon damals bei mir alte Sympathien hervorgerufen. Eine gewisse Faszination für alles Unkonventionelle hat mich schon immer begleitet. Kommt dazu, dass in diesem Begriff nicht nur von der (oft negativ konnotierten und oft mit Gewalt verbundenen) Revolution die Rede ist, sondern auch gleichzeitig von der Evolution, der immerwährenden und notwendigen Entwicklung (oder Ent-wicklung). Alles ist Bewegung, alles ist Veränderung – und so gesehen ist alles in Entwicklung, auch wenn manchmal vermeintliche Rückschritte augenfällig sind.

Heute – beim Ausmähen der rund dreihundert Meter langen Kastanien-Allee des Schloss-Weingutes – gingen mir viele Gedanken durch den Kopf; einige davon haben mir wohl einen neuen Zugang zu den Grundsätzen der französischen Revolution verschafft.

Liberté – Egalité – Fraternité

Die Gleichheit (égalité) setze ich nun einfach mal voraus. Ob Weinbauer, Schlossbesitzer oder freiwilliger Workawayer, wir alle haben unterschiedliche Hintergründe, unterschiedliche Lebenswege, Erfahrungen und Lebens-Aufgaben. Oft wissen wir gar nicht, welche davon sich hinter dem Gesicht eines Gegenübers verbergen. Gleichheit und Gleichwertigkeit gilt für mich einfach ganz grundsätzlich.

Die Brüderlichkeit (fraternité) und sinngemäss natürlich die Geschwisterlichkeit leben wir konkret mit unserem Workaway-Einsatz: etwas Zeit verschenken, in andere Lebenswelten eintauchen und ganz praktisch mit anpacken. Derzeit gibt es ja gerade wieder einige neurobiologische Studien und Filme, die die These untermauern, dass Menschen grundsätzlich auf Altruismus gepolt seien. Ja tatsächlich, es macht Spass, etwas Sinnvolles (Not-wendiges) zu tun, irgendwo mitzuwirken und dabei zu spüren, dass der eigene Einsatz geschätzt wird und jemandem tatsächlich Freude bereitet.

Und über all dem die Freiheit (liberté), in meinem Fall die grandiose und unermesslich wertvolle Freiheit, einfach das zu tun was Spass macht, mich dort einzusetzen wo ich unmittelbar Sinn stiften kann …. und mich auch zu verabschieden, wenn mir diese zentralen Bedingungen meiner selbst nicht mehr gegeben scheinen. Wer Zeit und Arbeit verschenken kann, ist tatsächlich „sein eigener Herr und Meister“.

Ob solcher Gedanken kommt mein Idealismus bereits wieder in Fahrt; wann wohl kommt es in der Schweiz zu einer zweiten Abstimmung über das „bedingungslose Grundeinkommen“? Ich meine zu erahnen, dass dies eine zentrale Grundlage von „Liberté – Egalité – Fraternité“ und damit tatsächlich (r)evolutionär sein könnte.

Tag der offenen Tür im Schloss-Weingut