Die illegale Pfarrerin

oder – „biographische Wiedererkennungseffekte“
oder – „wie biographische Schriften Dritter dem eigenen Leben Spiegel sein können“

Immer noch beeindruckt von der spannenden Lektüre suche ich einen passenden Untertitel für dieses Lese-Erlebnis. Das sehr sorgfältig recherchierte Buch der Enkelin über ihre Grossmutter, die erste Pfarrerin in einem Vollamt, liest sich ausserordentlich leicht und spannend. Schritt um Schritt dem Leben und dessen Herausforderungen folgend.

Die persönlichen Anknüpfungspunkte und möglichen Parallelen erscheinen mir – trotz gut 50 Jahren zeitgeschichtlicher Differenz – besonders eindrücklich. Je nach Lesart: „was, schon soo lange wird darum gekämpft?“ oder „oh, mutig, diese Sichtweise in damaliger Zeit“. Meine Anfänge im Theologiestudium (allerdings in katholischer Ausführung – was mich dann auch zum Umsatteln bewog), meine politische Sensibilisierung durch das Theologiestudium, meine Bemühungen um Gleichstellung der Geschlechter und mithin um eine aktive Vaterrolle und partnerschaftliche Rollenteilung: Themen, mit denen ich 50 Jahre später unterwegs war – und bei denen ich mich im Vergleich zum Mainstream immer noch in einer Pionierrolle empfand.

Interessant, den dank Tagebüchern gut dokumentierten Schritte der beruflichen Selbst- und Rollenfindung, den sich abwechselnden Phasen von Selbstzweifel und Militanz folgen zu können. Als Leser der Biographie gewissermassen „in sicherer Distanz“. Und doch bleibt die Frage nicht aus: und bei mir? wo kippt die mutige Militanz in Sturheit und Verbissenheit? wo kippt der progressive Einsatz für prinzipielle Geschlechter-Gerechtigkeit in eine neue Dominanz?
Gerade diesbezüglich wünschte man sich in diesem Buch, den Partner an ihrer Seite besser zu spüren. Erstaunlich, welche Kompromisse dieser einging. Erstaunlich, das scheinbare Glück in dieser Beziehung trotz augenscheinlicher Diskrepanz. Hat er nur überlebt dank seiner Geduld und Anpassungsfähigkeit, dank seiner bedingungslosen Zuneigung?
Und dann der unverkennbare und wirkmächtige Einfluss eines dominanten Vaters; vermutlich ist man sich als Vater – aber auch als Mutter – oft gar nicht bewusst, wie sehr und womit man auf die eigenen Kinder derart prägend wirkt. Gewollt oder ungewollt. Wie ist das bei mir? bei uns?
Gut, wenn ein Buch solche Fragen provoziert und zum Weiterdenken anstachelt.

https://www.limmatverlag.ch/programm/titel/872-die-illegale-pfarrerin.html
Christina Caprez, Die illegale Pfarrerin
Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906–1994
392 Seiten, gebunden, Halbleinen, 29 Fotos und Dokumente
Limmat-Verlag Zürich, 4. Aufl., November 2019

Am 13. September 1931 tut das Bündner Bergdorf Furna etwas, was zuvor noch keine Gemeinde der Schweiz gewagt hat: Es wählt eine Frau zur Pfarrerin. Ein Skandal, der bis nach Deutschland Schlagzeilen macht, sogar der berühmte Theologe Karl Barth mischt sich ein. Greti Caprez-Roffler ist 25 Jahre alt, frisch gebackene Theologin und Mutter. Sie zieht mit ihrem Baby ins Bergdorf, ihr Mann bleibt als Ingenieur in Zürich. Die Behörden konfiszieren das Kirchgemeindevermögen, doch die Pfarrerin arbeitet weiter, für «Gottes Lohn».
Nach ihrem Tod macht sich die Enkelin auf die Spuren der ersten Schweizer Gemeindepfarrerin. Sie stösst auf die aussergewöhnliche Emanzipationsgeschichte einer Frau, die im Dorf Skihosen für Mädchen einführte und ihren Söhnen das Stricken beibrachte. Die ihren Mann zum Theologiestudium inspirierte und mit ihm das Pfarramt im Jobsharing ausübte, lange bevor der Begriff existierte. Die für sich in Anspruch nahm, was damals für viele undenkbar war: ihrer Berufung nachzugehen und Mutter zu sein, eine glückliche Liebe und eine erfüllte Sexualität zu leben. Eine Frau mit einem grossen Hunger auf das Leben, die ihre Zeitgenossen mit ihrem festen Willen und ihrer direkten, bestimmenden Art immer wieder herausforderte.

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