Ein Titel der aufhorchen lässt, der gwundrig macht, gell ….
Unter diesem Titel führt Samira Mousa ihren sehr gehaltvollen Blog von der Kategorie „unbedingt mal reinschauen, sich vertiefen, sich anregen und inspirieren lassen“. Unsere Tochter hat mich auf die zwei Bücher aufmerksam gemacht, zwei Bücher die man nicht mehr aus der Hand legen möchte bis man sie ausgelesen hat: spannend, berührend, ermutigend. „und morgen Santiago – Auf dem Jakobsweg zu mehr Zuversicht und Glück … mit multipler Sklerose“ heisst das erste Buch, „und morgen die Welt – wie ich einen Schicksalsschlag in das grösste Abenteuer meines Lebens verwandelte“ das zweite Buch. Nun erschliesst sich auch, weshalb von „chronisch“ die Rede ist: die junge Berlinerin Samira Mousa wurde 2013 im Alter von dreiundzwanzig Jahren mit der Diagnose MS konfrontiert. Sie schreibt mit lockerer Feder gegen diese Krankheit an oder vielmehr … sie erzählt mit ehrlicher und positiver Energie, wie sie gerade durch diese chronische Krankheit zu ihren Ressourcen gefunden hat. Heute verbindet sie ihr Talent zum Schreiben und ihren Hang zum Unkonventionellen mit ihrer Entdeckungsfreude und ihrer Lust zu einem nomadischen Lebensstil.
Samira Mousa schreibt äusserst glaubwürdig und ermutigend, nie sentimental und stets pragmatisch positiv. Man nimmt ihr ab, dass sie dank ihres inneren Entwicklungsweges gelernt hat, „diese fiese Scheiss-Krankheit“ wenn nicht gerade zur Freundin zu machen, so doch wenigstens zu respektieren und ihr unterm Strich gar dankbar zu sein. Sie achtet heute auf ihren Lebensrhythmus, auf ihre Ernährung, auf viel Bewegung und Stressvermeidung – sozusagen auf persönliche Nachhaltigkeit.
Zwei beeindruckende Bücher, ein beeindruckendes Leben und eine Dichte an Lebenserfahrung und positiver Nachdenklichkeit, die man nicht oft antrifft. Solche junge Menschen sind für mich Grund zur Hoffnung für diese Welt …., und Grund zur Hoffnung für unsere eigene Tochter, die ebenfalls mit einer MS-Diagnose sehr mutig und positiv unterwegs ist.
Der MS-Blog von Samira Mousa: www.chronisch-fabelhaft.de
Was mich innerlich aufwühlt und nicht ganz loslässt, ist die gesellschaftlich-strukturelle Dimension hinter dieser Krankheit. Könnte es sein, dass es sich hier um eine weitere „Zivilisationskrankheit“ handelt, so wie man dies zweifellos auch von ADHS, Depression, Burnout etc. sagen kann? Um ein Leiden, dass zu einem guten Teil krankmachenden Strukturen und Gewohnheiten einer ganzen hyperaktiven Gesellschaft zu verdanken ist? Könnte es sein, dass die technologische Reaktion darauf (Forschung nach neuen medikamentösen Interventionsformen) letztlich nur Symptome bekämpft? Wäre ein radikaler Umbau der kapitalistisch getriebenen Wirtschaftsstruktur – hin zu einer neuen Gemeinwohl-Orientierung und zum menschlichen Mass – nicht auch in dieser Hinsicht nachhaltiger? Packen wir’s an.
(Die Dringlichkeit einer friedlichen Umwälzung beschreibt auch Christoph Pfluger vom Zeitpunkt: Im brandneuen Buch „Die Strategie der friedlichen Umwälzung – eine Antwort auf die Machtfrage“ reflektiert er, wie eine Bewegung in Gang kommen könnte, die radikal menschen- und mitwelt-freundlich ist. Denn vielen Menschen ist mittlerweile klar, dass es mit der alles umfassenden – also totalitären – kapitalistischen Profit-Maximierung so nicht mehr weitergehen kann; dieses Geld-System hat zu viele gravierende „Konstruktionsfehler“.)
Somit bleibt wohl der einzige Weg, sich persönlich von krankmachenden Strukturen bestmöglich freizumachen bzw. fernzuhalten. Ein bewusster und minimalistischer Lebensstil kann den Weg dahin bereiten. (vgl. dazu meinen
Buchhinweis und Blog-Beitrag „Ich brauche nicht mehr“)