Süditalien 2019 – Wochenbericht 4

Sonntag der 3.November war unser letzter Lese-Tag in Ali. Da es um diese Jahreszeit bereits sehr früh dunkel wird, wurde durchgearbeitet bis 16 Uhr. Dann das zwar späte aber umso üppigere Mittagessen: Pizza da Franco aus dem eigenen Holzofen, Arancini da Carmela, Tiramisu da Cecilia. Wunderbar und typisch sizilianisch. In dieser herzlichen Atmosphäre kommen uns in letzter Minute wieder Zweifel hoch: sollen wir nun weiterfahren – oder ein paar weitere Tage bleiben? Schliesslich fahren wir wie geplant nach Furci ins Studio, waschen unsere Wäsche bis nach Mitternacht, telefonieren mit einer Freundin in der Schweiz und Plaudern beim Limoncello mit Gioia, der anderen Workawayerin aus Kopenhagen. Anderntags Packen, Aufräumen, 5L „eigenes Öl“ einpacken, Café und Dolce geniessen und dann geht’s weiter nach Messina und mit der Fähre nach Villa S.Giovanni. Gioia ist bis dahin noch mit uns unterwegs; eine schöne Gelegenheit zum gemeinsamen Rückblick. Danach trennen sich unsere Wege und wir fahren weiter nach Scilla, dort wo Odysseus der Sage nach einem Meeresungeheuer getrotzt und eine weitere Prüfung bestanden haben soll, und dann nach Joppolo. Bei aufkommendem stürmischem Westwind übernachten wir auf einem einsamen Parkplatz direkt oberhalb der tosenden Brandung. Uns hat das Meeresungeheuer jedenfalls in Ruhe gelassen.

Am Dienstag geht’s bei blauem Himmel von Joppolo auf der Küstenstrasse nach Capo Vaticano und weiter nach Tropea: traumhafte Ausblicke zurück zum Aetna wie auch westwärts zu den liparischen Inseln und insbesondere nach Stromboli. Nach dem Sturm die Sonne: in Tropea geniesse ich abends wie morgens noch das – zugegeben erfrischende – Bad im Meer. Die schöne Altstadt und die äusserst malerische Uferpromenade laden – wenn’s nicht gerade regnet – zum Flanieren. Wir widmen uns dem originellen Krippenfiguren-Museum und dem Gelati-Schlecken unterm Vordach. Tags darauf geht’s weiter nach Pizzo, dem angeblichen Geburtsort des „gelato tartufo“, der Eis-Kugel mit flüssiger Schokolade-Füllung. Auch hier lässt sich ein stimmungsvolles Städtchen entdecken – und wir erfreuen uns an den zahlreichen „Murales“, den Wandmalereien und Kunstobjekten, die als Relikte vom Street-Art-Festival 2016 zeugen.

Nach zwei Tagen drückt der anhaltende Regen etwas auf die Stimmung: wir wechseln die Seite und fahren in der Hoffnung auf Sonnenschein an der engsten Stelle (gut 30km) quer durch Kalabrien, von Lamezia Terme nach Catanzaro und weiter zum Capo Rizzuto – vom thyrrhenischen Meer ans ionische Meer.

Der Regen begleitet uns zunächst noch. Doch dann folgen, trotz Wind und Wolken, drei paradiesische Tage auf dem Camping Pizzo Greco am Capo Rizzuto. Hier sind wir in purer Natur, die einzigen Gäste, und trotz wechselhaften Wetters und beträchtlichem Wellengang schaffe ich’s noch täglich zweimal ins Meer zu gehen. So geht Paradies …!

Am Sonntagnachmittag 10.November fahren wir dann nochmals ein Stück die kalabrische Küste zurück, westwärts nach Borgia/Squillace, zum Agriturismo Borgo Piazza, unserem anvisierten Workaway-Ziel. Wir hatten vor fünf Tagen eine Anfrage gestartet … und immer noch nichts gehört. So entschliessen wir uns, jetzt einfach mal hinzufahren. Kurz vor dem Einnachten treffen wir auf dem Gelände ein, gehen zaghaft um die Häuser, suchen eine Réception, sehen div. Familien mit Kindern, die offenbar nach dem Mittagessen im hiesigen Restaurant jetzt noch auf dem Gelände den Verdauungsspaziergang machen. Plötzlich taucht eine kleine quirlige Frau auf: wer seid ihr? Aha, ja diese Workaway-Mail habe sie gesehen, aber sie beantworte diese Mails grundsätzlich nicht. Nun, da wir da seien, zeige sie uns aber schnell eine Wohnung, wo wir wohnen können – bevor sie zu einer Sitzung weg muss. Und ja, die Arbeit sei 4 Std pro Tag, man könne ja dann noch sehen, was zu tun sei. Noch am selben Abend taucht sie erneut auf und meint: mit euren Kompetenzen (Theologie, Pädagogik, Soziale Arbeit) könntet ihr mir ja gleich ein Konzept schreiben für meine Vision eines lebendigen und nachhaltigen Katechismus-Unterrichts, im Sinne der „ecologia integrale“ wie sie in der Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus skizziert sei. Peng …

Soviel Vorschussvertrauen, soviel Zu-Mutung, soviel Spontaneität und soviel Offenheit auf einem Haufen. Da bin selbst ich für einmal fast sprachlos …. aber auch seltsam angeregt und neugierig. Es bleiben natürlich noch hundert Fragen, doch die Lust zum Eintauchen ist entfacht.

In den folgenden Tagen erleben wir herzliche Gastfreundschaft und werden mit den Gaben der Natur eingedeckt (eigene Mandarinen, Feijoas, Zitronen, Orangen, Olivenöl, Rotwein, Salat, Portulak, Gemüse, Kräuter, Honig, Likör …). Der 44-Hektaren-Betrieb gibt bei diesem Klima Vieles her. Das riesige und äusserst vielgestaltige Gelände bietet einen gepflegten Agriturimso-Betrieb inkl. Restaurant, Kinder-Spielplatz, Weiher, einen Aussichtspunkt mit eigenem Kirchlein … und birgt neben Zitrusfrüchte-Plantagen und Rebhängen auch rund 4500 Olivenbäume.

Sobald es das Wetter erlaubt, helfen wir auch hier in der Olivenernte mit. Diesmal erleben wir eine etwas rationellere Methode: mit einem motorbetriebenen Rüttler/Schüttelstab werden Baum um Baum die Oliven runtergeschüttelt und dann aus dem Netz zusammengeleert. Im betriebseigenen „frantoio“ werden die Oliven gleich selbst geputzt, zermahlen und gepresst. In guten Jahren werden hier 17’000 Liter Olivenöl erzeugt.

Die regnerischeren Tage sind ebenfalls ausgefüllt mit allerlei helfenden Tätigkeiten in Küche und Garten. Dann aber auch mit diversen Sitzungen, Besprechungen und Weiterbildungen, zu denen wir spontan und freimütig gleich dazu geladen werden. Sogar an Religionsunterricht-Lektionen soll ich beobachtend teilnehmen und meine Eindrücke und Gedanken dazu mitteilen. Elvira ist durch und durch infisziert von der Idee, auf diesem Gelände die Comunita „Laudato si“ entstehen zu lassen. Ihr Lebensprojekt ist inspiriert von der päpstlichen Enzyklika „Laudato si“ und natürlich auch vom Sonnengesang des Franz von Assisi. Hier soll die in der Enzyklika postulierte „ecologia integrale“ einen konkreten Niederschlag finden, ein Übungsfeld erhalten und beispielhafte Impulse setzen. Mit der Aufforderung, eine konzeptionelle Skizze zu verfassen, fühle ich mich eigenartig angeregt. Viele jener Gedanken, die mich schon jahrelang beschäftigen und begleiten, fliessen hier plötzlich zusammen, suchen ihren Ausdruck. Wenngleich es mir auf den ersten Blick unmöglich erscheint, etwas konzeptionell umzusetzen, dass mir zunächst ziemlich komplex und eher etwas wirr entgegenkommt. Nun, jedenfalls ist hier ein intensiver Denk- und Destillationsprozess in Gang gekommen – mal sehen, was daraus noch wird in den nächsten zwei Wochen. 

PS: Auf Borgo Piazza sind wir derzeit von sehr viel Grün umgeben. Das gesamte Gelände und die Kulturen werden sommers bewässert. Und derzeit kommt die nötige Feuchtigkeit oft auch direkt vom Himmel. Die Temperaturen überschreiten jetzt kaum mehr die 20-Grad-Grenze und nachts kann es schon mal auf 14 oder 12 Grad runtergehen. Für mich wäre der Wohlfühl-Pegel ca. 5 Grad höher, für Renata hingegen ist’s gerade richtig. Nun, wenn wir mit Trogen vergleichen, wo derzeit Schnee liegt und es nachts gefriert!

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