Adrano ist eine eine gut 36’000 Einwohner zählende Stadt an der Südwestflanke des Aetna. Zusammen mit 8 weiteren Gemeinden hat sie Anteil an der Spitze des Aetna – in radialer Anordnung wie ein Tortenstück. Am Ufer des Simeto, eines in das Vulkangestein eingegrabenen Flusses, zeugt die Ponte dei Saraceni von der frühen Besiedelung dieser äusserst fruchtbaren Gegend. Jedoch sind schon Griechen und Römer vorausgegangen … und die Sarazenen ihrerseits seien im 11.Jahrhundert in ganz Süditalien durch die Normannen (daher das hiesige Castello Normanno) verdrängt worden. Später folgten die Kirchen und Klöster; der grosszügige und harmonische Bau des Monastero e della Chiesa Santa Lucia, deren Fassade in Lavastein und Marmor eine lichte Wirkung erzielt, dominiert die Stadt-Ansicht. Solche und weitere Auskünfte erhielten wir von Cavaliere Nicolo Moschitta, dem Präsidenten der örtlichen Tourismusvereinigung Pro Loco Adrano, nachdem wir dieses unscheinbare Büro überhaupt erst erspäht hatten.
Schon fast beim Hinausgehen schiebe ich noch eine Frage nach den Murales zu Borselliono/Falcone nach …. und lande damit wieder mal einen sensationellen Zufalls-Treffer: Es entwickelt sich ein äusserst lebhaftes und aufschlussreiches, sympathisches Gespräch von nahezu einer Stunde, bei dem sich viele gemeinsame Anliegen erschliessen. Nicolo Moschitta ist pensionierter Kriminalbeamter und jetzt sehr engagierter und rühriger Präsident von Pro Loco Adrano. Ihm liegt die Heranbildung eines verantwortlichen Umgangs von Mensch und Natur und damit die „legalità“ sehr am Herzen. Mit Anlässen an Schulen, mit der Würdigung diverser Formen ehrenamtlichen Engagements und mit öffentlichen Veranstaltungen soll der verbreiteten Verantwortunglosigkeit entgegengewirkt und die mafiöse Kultur des Wegschauens und Schweigens überwunden werden. Er weiss wovon er spricht, war er doch direkt involviert in grosse Untersuchungen bezüglich der illegalen Entsorgung radioaktiver Abfälle aus ganz Europa im Mittelmeer, ein skandalöser und empörender Fall organisierter Kriminalität .
Mich beeindruckt sehr, wie bewusst und systematisch hier an der Haltungsänderung einer ganzen Gesellschaft gearbeitet wird – und welch riesige und geduldige Arbeit dies erfordert. Während unseres Gesprächs vor dem Büro bleiben noch zwei-dreimal freundlich grüssende Menschen stehen: offensichtlich Freunde, die seine Anliegen teilen und diese Sisyphos-Arbeit mittragen. Denn tatsächlich sind uns schon bei der Herfahrt nach Adrano befremdliche Bilder ins Auge gestochen: in den endlosen Kastanienwäldern und an den Strassenrändern durch die fruchtbaren Wein- und Obstgärten liegt haufenweise Müll, wilde Deponien mit alten Möbeln, Kühlschränken, aufgerissenen Müllsäcken und streunenden Hunden, dies trotz sichtbar vorhandener Entsorgungsmöglichkeiten. Ja, sie leisteten sehr viel Sensibilisierungsarbeiten an den Schulen, müssten aber eigentlich in erster Linie die Eltern erreichen, die diese Sorg- und Verantwortungslosigkeit selbst praktizierten oder zumindest tolerierten, so der Präsident.
Auf solchem Hintergrund sprechen mich die Murales im Stadtpark von Adrano mit ihren Zitaten von Paolo Borsellino („La paura è humana, ma combattetela con il corragio“ / die Angst ist menschlich, aber bekämpfen wir sie mit Mut …) und Giovanni Falcone („il corragioso muore una volta, il codardo cento volte al giorno“ / der Mutige stirbt nur einmal, der Feige hundert mal am Tag) besonders an. Zivilcourage heisst jener Begriff, der mir schon in frühester Jugend aus den Erzählungen meines Vaters hängengeblieben ist. Ja, darum geht es wohl …. und um Verantwortungsbewusstsein, Sorgfalt und Liebe.
Aehnliche Bilder fanden wir auch bereits in Palermo … die Erinnerung an diese beiden Richter und deren Grundhaltung scheint in vielen Orten Siziliens bewusst gepflegt zu werden. So auch in der Benennung des Flughafens Palermo (Aeroporto Falcone e Borsellino). Und auch ein grosses Wandbild in der Cala von Palermo ist dem Gedenken an diese beiden prominenten Mafia-Opfer und Mafia-Richter gewidmet.
Der sehr ansprechende und belebte Stadtpark von Adrano lohnt einen Besuch, im nahegelegenen Restaurant mundet die Lasagne al zucco wunderbar und die Gelati in der Garden-Bar ist ausgezeichnet. Wer hier vorbeikommt und sich Zeit nimmt für ein Gespräch im Pro-Loco-Büro, wird dann womöglich auch auf Facebook verewigt ….
Uns bleibt die Erinnerung an eine sehr herzliche und aufschlussreiche Begegnung im Pro-Loco-Büro und das gute Gefühl, dass an vielen Orten in der Welt an vielen kleinen Ecken an ähnlichen hoffnungsvollen Entwicklungen gearbeitet wird. Ganz im Sinne dieses Zitats von Margret Mead: »Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe von Menschen die Welt verändern kann. Tatsächlich sind das die Einzigen, die es je getan haben.«
Übrigens: unsere Form des nachhaltig(er)en Reisens sei offensichtlich im Trend und nenne sich in Italien „turismo esperienziale„. Schaut man jedoch genauer hin, dann gibt es nochmals einen Unterschied zwischen „Erlebnisferien“ und dem langsamen Reisen, bei dem auch geldfreies Mitwirken zum Konzept gehört. Die für nachhaltigen Tourismus engagierte Reisebloggerin Valentina Miozzo erklärt Wooofing und Workaway hier auf italienisch.