Zum Glück gibt es Paech

Nein, kein Druckfehler. Wenn es auch tatsächlich entscheidend ist anzuerkennen, dass Leben auf dieser Erde stets von Polaritäten geprägt ist: kein Tag ohne Nacht, kein Sommer ohne Winter, kein Geboren-werden ohne Sterben, kein Anfang ohne Ende, kein Glück ohne Pech – oder zumindest kein immerwährendes Glück. Doch an dieser Stelle geht es wirklich um Paech ….

Der Volkswirtschafter Niko Paech ist mir schon vor vielen Jahren aufgefallen, als er sich im Rahmen der INWO (Initiative für eine natürliche Wirtschaftsordnung) zu Fragen der Zins- und Bodenpolitik im Sinne von Silvio Gesell äusserte. Dass das herrschende Geld-System gravierende „Konstruktionsfehler“ aufweist und letztlich der ungleichen Verteilung von Gütern, Mitteln und schliesslich von Macht Vorschub leistet, wurde schon vielfach festgestellt. (So kannte etwa die jüdische Tradition die Praxis des Jobeljahres, welche nach jeweils 49 Jahren ein Jahr des allgemeinen Schuldenerlasses vorschrieb. Mehr zum Erlassjahr bei Wikipedia)

Inzwischen ist der an der Universität Oldenburg lehrende Nachhaltigkeitsforscher und Volkswirt Niko Paech zu einem der bedeutendsten Wachstumskritiker und für die neoliberale Wirtschaftslobby zum „enfant terrible“ avanciert. Er verweigert sich der Mär eines scheinbar grenzenlosen Wachstums und sieht der Tatsache ins Gesicht, dass diese eine Welt ihre Grenzen hat: daraus entwickelt er eine konsistente Postwachstums-Ökonomie und plädiert für eine Kultur des Genug statt des Immer mehr. Eine solche Positionierung erfordert beinahe tollkühnen Mut und bringt ihm das Etikett eines Miesepeters ein. Aber Hand aufs Herz: wer hat sich nicht im Stillen auch schon – und zunehmend öfters – gesagt, dass dieser globale Irrsinn an Geschwindigkeits-, Verschwendungs-, Leistungs- und Geltungswahn nicht gesund sein kann und über kurz oder lang kollabieren wird.
Selbst eine weniger emotionale Analyse vieler alltäglicher Phänomene führt uns immer wieder vor Augen, dass in der verbreiteten marktliberalen Hektik auffallend viel ANTIPRODUKTIVITÄT auszumachen ist: wie viele Sitzungen, Projekte und auch Produkte etwa werden lanciert, um kurz danach in die Schublade oder in den Müll zu wandern? Wie viele Ressourcen werden verschleudert, bloss um das Konkurrenzprinzip des freien Marktes zu bedienen … mit der Folge, dass die grenzenlose Auswahl an vergleichbaren Produkten uns Menschen komplett überfordert und die Abfallberge nur noch vergrössert.

Es ist komplett gegen den Trend, weder hipp noch chic, über die Grenzen irdischer Existenz nachzudenken. Wer es jedoch tut und sich selbst zu beschränken beginnt, kann Freiheit neu entdecken. Mich hat die Lektüre von Niko Paech inspiriert; gerade wenn man selbst gegen den Strom schwimmt und sich mit unzeitgemässen Gedanken auseinandersetzt, tut es unerhört gut, durch solche Stimmen eine systematische Begründung und Bestätigung zu erfahren.

Hier einige markige Sätze aus dem TAZ-Interview zu Postwachstum und Corona:

  • … von Krise zu Krise wächst der Anteil der Menschen, die sich dem Steigerungswahn verweigern und ökologischen Vandalismus missbilligen. Das kann neue gesellschaftliche Konflikte verursachen – aber ohne die wird es keinen Wandel geben.
  • Ohne hinreichende Globalisierung des Personen- und Güterverkehrs wäre aus einer Epidemie keine Pandemie geworden. Und die entgrenzte Verflechtung zwischen Ländern beliebiger Entfernung, so auch zwischen China und Europa, ist ein Produkt der Digitalisierung … Die Digitalisierung ist zugleich Basis und Brandbeschleuniger aller Modernisierungskrisen.
  • Gerade haben wir kein Wachstum mehr – und die Arbeitslosigkeit steigt. Zeigt das, dass Degrowth schädlich ist für uns? Auch für einen Bankräuber ist es schädlich, ihm die Beute zu entreißen. Unser Wohlstand resultiert nicht aus eigener Arbeit, sondern technologisch verstärkter Plünderung, bedürfte also ohnehin einer Korrektur. Arbeitslosigkeit kann durch eine verringerte Erwerbsarbeitszeit vermieden werden, sagen wir: 20 Stunden pro Woche. Daran ließe sich die wichtigste Maßnahme knüpfen, um soziale Verwerfungen zu vermeiden: nämlich Menschen unabhängiger von Konsumbedürfnissen werden zu lassen. Dies gelingt erstens durch mehr Genügsamkeit, die keinen Verzicht, sondern eine Befreiung von Reizüberflutung bedeutet: „All you need is less“ nennen mein Co-Autor Manfred Folkers und ich die neue Maxime. Zweitens sollte die Versorgung teilweise in eigenen Händen liegen, indem Produkte erhalten, repariert, mit anderen geteilt und auch selbst produziert werden. Eine Wirtschaft des Teilens und der Nutzungsdauerverlängerung – auch auf Basis neuer Märkte und Unternehmen – ist eine weitere Alternative zur krisenbehafteten Globalisierung.

„Nicht mehr zurück ins Hamsterrad“ (Interview mit Niko Paech vom 27.04.2020 in der Berliner TAZ)
Niko Paech, Befreiung vom Überfluss – Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, Oekom-Verlag 2012
Manfred Folkers / Niko Paech, All you need is less – eine Kultur des Genug aus ökonomischer und buddhistischer Sicht, Oekom-Verlag 2020

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