Unser Workaway-Einsatz in Furci Siculo bzw. im Olivenhain in Ali beginnt mit einigen Ruhetagen, da unsere Hosts – die drei Brüder Filippo (46), Sebastiano (44) und Danilo (27) unter der Woche noch anderen Erwerbstätigkeiten nachgehen und sich die Erntetage aufs Wochenende konzentrieren. Ein gemütliches Akklimatisieren also hier an der Ostküste Siziliens. Wie üblich muss ich zuerst die Gegend erkunden, mache einen Spaziergang am Meer während Renata die Wäsche erledigt und uns häuslich einrichtet. Traditionelle Rollenverteilung (-;). Nachmittags fahre ich mit dem E-Bike zum ausgesetzten und malerischen Bergdorf Savoca hoch und via Rina zurück nach Santa Teresa di Riva und Furci Siculo.
Den nächsten Tag nutzen wir für einen Ausflug mit dem öffentlichen Bus nach Taormina. Schon die Hinfahrt mit dem spektakulären Abstecher über zig Serpentinen hinauf nach Forza d’Agro lohnt die Reise. Ein Höhepunkt ist dann aber auch der Besuch von Taormina und dessen berühmtem Amphitheater aus griechischer Zeit. Hier erhaschen wir am Morgen die ersten Blicke auf den Aetna vor faszinierender und geschichtsträchtiger Kulisse. Wieder zurück in Furci Siculo lachen uns die ersten gebratenen Marroni ins Gesicht – das ist Herbstbeginn.
Am Freitag erleben wir eine äusserst abenteuerliche Anfahrt in den Olivenhain, in zahlreichen Spitzkehren hinauf zum Bergdorf Ali auf rund 450müM. Die steile Einfahrt in den Olivenhain beschert unserem Fiat Ducato eine heisse Kupplung, mir für kurze Zeit einen heissen Kopf und Renata ziemliche Existenzängste um unseren Camper. Der Stellplatz ist dann aber einmalig, bietet eine archaische Atmosphäre zwischen all den alten Olivenbäumen, Zedern, Nuss- und Mandelbäumen und eine wunderschöne Aussicht. Hier geniessen wir Sternennächte, Stille … und ab und zu auch Mücken.
Wir werden in die Erntearbeiten eingeführt und merken schnell, wie anstrengend das sein kann und wieviel Handarbeit dies bedeutet. Auch die folgenden Tage sind angefüllt von vielen Stunden fleissigen Olivenlesens. Zum Mittagessen werden wir ins Rebhäuschen von Zia Carmela und Zio Franco eingeladen und dort deftig bewirtet. Hier erleben wir sizilianische Herzlichkeit und Grosszügigkeit. Franco wird für uns zum „Türöffner“, hat er doch rund 40 Jahre lang in Stuttgart gelebt und gearbeitet; dank seiner Hilfe finden wir deutlich schneller in die italienisch dominierten Tischgespräche. Franco erweist sich auch als „l’uomo con la buona forquetta“, als ausgeprägter Geniesser und Gourmet. Wie sich herausstellt, ist Carmela gerade zwei Wochen jünger als ich; auch bezüglich Lebensphase und -Themen finden wir somit schnell Anschluss. Renata hat denn auch schon diverse Oliven- und Einlege-Rezepte von Franco und Carmela übernommen und ausprobiert.
Pro Tag schaffen wir jeweils ca. 2,5 Kisten (ca 50 kg) Oliven, inklusive dem gleichzeitigen Schneiden der Bäume. „Je nach Sorte benötigt man für einen Liter Olivenöl etwa fünf bis zehn Kilogramm Oliven. Ein großer ausgewachsener Olivenbaum kann leicht bis zu 180 kg Oliven tragen. Im Durchschnitt werden von einem Olivenbaum 50-70 kg Oliven geerntet, das heißt ein einziger Baum produziert pro Jahr etwa fünf bis zehn Liter Öl.“ (Quelle: www.oelea.de)
Unser Lagerplatz bietet fantastische Sonnenaufgänge über der kalabrischen Südspitze, eine herrliche Rundsicht vom nahegelegenen Hubel, wunderschöne Herbstfarben und -formen in Gräsern, Sträuchern, Mandellaub, Blütenständen etc..
Am Dienstagmorgen beenden wir die ersten fünf Lesetage, haben damit 13 Kisten und zwei Kessel beisammen, was jetzt gut 300 Kilo Oliven ausmacht und schliesslich 68 Liter reines Olivenöl ergibt. Nach kurzem Picnic folgt das Packen und die Abfahrt zu unserem „Wochenend-Ausflug“ nach Zafferano Aetnea zur Area Sosta Camper Spuligni. Hier widmen wir uns der Camper-Ver-/Entsorgung, dem Einkauf und der Buchung einer Aetna-Tour. Schnell sind wir wieder im Reise-Modus und „in unserem rollenden Häuschen daheim“. Mehr über diesen unvergesslichen Ausflug rund um den Aetna in den separaten Beiträgen Aetna-Etna-Mongibello und Zum Beispiel Adrano.
Nach unserem Ausflug kommt uns – während es draussen regnet – der Bürotag „am Schärme“ gerade recht. Schreiben, Blog nachführen, Einkaufen in der Pescheria; das ergibt dann Cozze zur Vorspeise und Steak vom Schwertfisch (Spada) als Hauptgang. Renata hat währenddessen Quitten-Konfi gemacht und Oliven eingelegt
Von Samstag bis Montag folgen erneut intensive Olivenernte-Tage, viel Bäume-Schneiden, viel Aeste-Verbrennen. Italien kennt die Diskussion um CO2-Reduktion zwar auch, das Verbrennen der Olivenaeste ist aber derart verbreitet und in der Tradition verwurzelt, dass andere Methoden noch kaum in Erwägung gezogen bzw. gehört werden. Eine berggängige Häcksel-Maschine wäre wohl eine Investition wert und böte vielleicht ein Auskommen als Lohnunternehmer; Kompostierung bzw. das Mulchen und Bodenbedecken scheinen noch kaum bekannt geschweige denn akzeptiert zu sein.
Da die Wetterprognose gerade günstig ist, entschliessen wir uns am Montagabend kurzentschlossen zu einem erneuten Ausflug, diesmal zu den äolischen Inseln. Mehr dazu im eigenen Beitrag Unter Strom – auf Stromboli.
Fr/Sa/So erneute Olivenernte, diesmal bei gewittrigem und regnerischem Wetter. Mit Gioia aus Vigevano (bzw. Kopenhagen), Daniel aus Florida, Haiguk aus Nagasaki (Japan) Anne aus Namur (Belgien) sind jetzt noch vier weitere WorkawayerInnen hinzugekommen.
Am 1.Nov durften wir das frisch gepresste Olivenöl (aus dem ersten Druck „unserer“ Oliven) degustieren: das Öl hat eine frische grüne Farbe und schmeckt recht ausgewogen, mild und fruchtig. Dieses sollte nun ca. 6 Wochen liegen bleiben und nachreifen.
Ebenfalls seit 1.Nov werden hier die Bäume nicht mehr zurückgeschnitten, da der Mond in das Sternzeichen Steinbock gewechselt hat und zunehmend ist. Wir ernten nun ab jüngeren Bäumen, die in den letzten 2-3 Jahren geschnitten wurden und deshalb von Hand gepflückt oder höchstens leicht geschüttelt werden. Man sieht inzwischen auch sehr deutlich, wie die Oliven reifer wurden, teilweise bereits schwarze Färbung angenommen haben … und eine glänzende, teilweise gar ölige Oberfläche aufweisen. Glücklicherweise lösen sich die reiferen Oliven nun schon viel leichter vom Zweig. Ob gepflückt oder geschüttelt, wir legen stets grosse Netze aus unter den Bäumen und sammeln sämtliche Oliven aller Grössen. Alle Oliven egal welcher Sorte seien zunächst grün und würden erst mit zunehmendem Reifegrad die Farbe nach violett und dann fast schwarz wechseln, so wird uns erklärt.
Nach einem Erntetag im Olivenhain fühlen sich unsere Hände angenehm samtig und weich an; ganz anders wie wenn man mit Gartenerde oder Maurermörtel arbeiten würde.
Die Oliven werden möglichst schnell nach der Ernte in die Ölmühle gebracht und dort kaltgepresst, d.h. Früchte und Kerne werden unter 27 Grad und mit Mahlsteinen zu einer Paste zermahlt und dann – zur Abscheidung von Öl und Wasser – noch zentrifugiert. Wir können nach all unseren Erfahrungen gut nachvollziehen, dass ein qualitativ wertvolles Olivenöl nicht unter 20 Euro pro Liter zu haben sei. Erstaunlich, wieviel Arbeit und Herzblut in diesem Produkt liegt. Noch viel mehr Wissenswertes zu qualitativ wertvollem Olivenöl findet sich hier: www.oelea.de
Für uns bleiben diese knapp drei Wochen aber nicht nur wegen des Olivenöls in Erinnerung. Wir durften durch diesen Einsatz auch einen intensiven Einblick in eine sizilianische Grossfamilie gewinnen und eine sehr herzliche Atmosphäre geniessen. Wenn uns wieder mal jemand mit dem pauschalen Vorurteil kommt, Italiener seien faul und nicht wirklich arbeitsam, dann können wir jetzt energisch entgegen halten: hier wird – nebst anderen Lohnarbeiten während der Woche – an freien Tagen und Wochenenden mit grösstem Einsatz ausdauernd gearbeitet. Chapeau, wie die drei Brüder das Familiengut bewirtschaften – und wie hier gegenseitig ausgeholfen und unterstützt wird, über Generationen- und Kleinfamiliengrenzen hinaus. Mit einer eindrücklichen, intensiven und emotionalen Erfahrung dürfen wir unseren Sizilienaufenthalt sehr dankbar abschliessen – und uns den neuen Ufern Kalabriens zuwenden. Molto grazie e arrivederci, Franco e Carmela, Filippo, Danilo und Sebastiano.
Die Bilder zum Wochenbericht
Wissenswertes und Nachdenkliches zur Olivenproduktion in Europa